Von „Made in Germany“ zu „German free“?

Als Exportnation ist das Label „Made in Germany“ vor allem nach außen hin nicht nur ein „Nice to have“, sondern viel mehr ein „Must have“. Doch was ist daraus geworden? Ein „German free“?

 

Made in Germany und der Mond 

Dass „Made in Germany“ mal ganz anders gemeint war, aber Deutschland es über Jahrzehnte hinweg geschafft hat, aus diesem „Makellabel“ ein weltweites Qualitätslabel zu machen, das ist bekannt und das ist legendär. Das war Schwerstarbeit, aber es wurde geschafft. Keine Chance, aber genutzt. „Made in Germany“ war über Jahrzehnte hinweg die Klammer, die die Wirtschaft selbst sicherstellte und eine ganze Nation zog daraus ihr Selbstbewusstsein. Zog!

Der Qualitätsdenker Benedikt Sommerhoff beschreibt die gegenwärtige Situation ganz ausgezeichnet in seinem Artikel „Kann Deutschland noch Qualität? Wie wir unseren wichtigen Wettbewerbsfaktor wiederbeleben“ im immer lesenswerten DGQ-Blog und stellt dabei fest: Deutschland „fällt global unangenehm auf mit mangelnder Digitalisierung, misslingenden Großprojekten, ausfallenden Regierungsfliegern, überbordender Bürokratie, der Anhängigkeit von gefährdeten gestrigen und dem Darben zukunftsfähiger Branchen, politischer Zögerlichkeit sowie gesellschaftlicher Veränderungsresistenz angesichts eskalierender globaler und nationaler Herausforderungen.“ Besser kann man es wohl nicht zusammenfassen.

Wo ist sie also hin, die Klammer? Und haben wir eine neue Klammer? Was ist das gegenwärtige „Made in Germany“? Oder um eine andere berühmte Klammer für eine Nation heranzuziehen: Was ist unser Flug zum Mond? John F. Kennedy rief seinen Leuten am 12. September 1962 an der Universität Rice damals zu: „Einige sagen, warum der Mond? Warum wählen wir ihn als unser Ziel? Und sie könnten genauso gut fragen, warum den höchsten Berg besteigen? Warum vor 35 Jahren den Atlantik überfliegen? Wir haben uns entschlossen, zum Mond zu fliegen. Wir haben uns entschlossen, noch in diesem Jahrzehnt zum Mond zu fliegen – nicht, weil es leicht ist, sondern weil es schwer ist.“ Weil es schwer ist … kann das noch als Motivation dienen? In einer Zeit, in der mittlerweile alles als nur noch als „schwer“ wahrgenommen wird?

 

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Von „Made in Germany“ zu „German free“?

 

Unser aller „Made in Germany“

Das Label „Made in Germany“ sorgte zum einen für den uns eigenen Anspruch. Diesen Anspruch gab es zu erfüllen als permanente nationale Aufgabe. Ob man das nun so sehen will oder nicht: Auch im Fußball hatte sich das niedergeschlagen. „Am Ende gewinnt Deutschland!“ So musste das sein. Die Erfüllung des eigenen Anspruchs als permanente Aufgabe, als ein gelabeltes Commitment, führte dazu, dass „Made in Germany“ weltweit als Synonym für Qualität, Zuverlässigkeit und Innovation gesehen wurde. Kein Zufall, kein Marketing – einfach eine Anstrengung durch „schwere“ Arbeit.

„Made in Germany“ hatte also eine treibende Innenwirkung, die vor allem eine nicht zu übertreffende rezeptive Außenwirkung hatte. Deutschland wurde zum Exportweltmeister, Deutschland wurde wohlhabend und immer wohlhabender – und satt. Vielleicht ist das das Problem. Das Sattsein. „Saturierte Gesellschaften, wie die unsere, haben gegenüber aufstrebenden Gesellschaften offensichtlich ein Handicap. Sie verlieren an Ehrgeiz, Leistungs- und Leidensbereitschaft und -fähigkeit“ konstatiert aus meiner Sicht zutreffend Benedikt Sommerhoff in seinem Artikel.

Sind die Forderungen nach einer immer geringeren Arbeitszeit bei vollem Lohnausgleich (Vier-Tage-Woche), der zunehmende Rückzug aus dem Arbeitsleben (Anspruch auf Sozialleistungen) oder die überbordende Akademisierung der Branchen und damit Arbeitsmarktteilnehmenden (Studium statt Ausbildung) dafür unübersehbare Anzeichen? Ich denke schon. Was ist also aus unser aller „Made in Germany“ geworden?

 

Von „Made in Germany“ zum „German free“?

Als Exportnation ist das Label „Made in Germany“ vor allem nach außen hin nicht nur ein „Nice to have“, sondern viel mehr ein „Must-have“, eine Notwendigkeit. Aber was passiert nach außen? Das Gegenteil, wie es scheint. In den letzten Jahren zeichnet sich ein neuer Trend in der globalen Wirtschaft ab: Immer mehr Unternehmen und Verbraucher wenden sich von Produkten und Dienstleistungen ab, die aus Deutschland stammen oder einen deutschen Bezug haben. Dieser Trend wird als „German free“ bezeichnet. Damit hätte das Label „Made in Germany“ nicht nur ausgedient, sondern sich mit „German Free“ ins Gegenteil verkehrt. In dem durchaus nachvollziehbaren und süffisanten manager-magazin-Kommentar „Warum „German free“ international zum Werbeslogan wird“ beleuchtet Klaus Schweinsberg den negativen Trend für Deutschland.

Die deutsche Politik und unsere Gesellschaft haben vielleicht in den letzten Jahren einige Entscheidungen getroffen, die bei anderen Nationen auf Unverständnis gestoßen sind. Die Flüchtlingskrise, der Umgang mit dem Klimawandel, die Haltung zu Russland und China oder die Rolle in der NATO sind Themen, die das Ansehen Deutschlands im Ausland beeinflussen. Viele Menschen sehen Deutschland mittlerweile als zu arrogant, zu moralisch oder zu dominant. Schweinsberg zitiert in seinem Kommentar zum Beispiel die aus Nigeria stammende Generaldirektorin der World Trade Organization (WTO), Ngozi Okonjo-Iweala. Sie sagte im September 2023 bei der Botschafterkonferenz des Auswärtigen Amtes: „When we talk to China, we get an airport; when we talk to Germany, we get a lecture.“ Wenn von uns als Exportnation nur noch Vorträge zu erwarten sind, dann hat es sich mit „Made in Germany“.

 

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Von „German free“ zu „German inside“?

Für uns als Nation, politisch, gesellschaftlich und wirtschaftlich, bedeutet dieser Trend eine enorme Herausforderung. Darüber müssen wir uns aber erst einmal bewusstwerden. Das ist, wenn es denn so sein sollte, für arrogante, moralisierende und dominante Agierende nicht einfach. Insofern sollten wir uns als Nation über uns intensiv selbstreflexive Gedanken machen. Die Basis dafür könnten die von Francis Bacon genannten vier „Idole“ sein. Auf dieser Basis gilt es dann weiterzudenken. Was zeichnet uns aus? Wo wollen wir hin? Für was stehen wir? Und für was stehen wir nicht und wo wollen wir auch in Zukunft nicht stehen? Wollen wir wirklich auf Teufel komm raus Flughafen um Flughafen bauen, um im Bild von Ngozi Okonjo-Iweala zu bleiben? Oder können wir doch Alternativen anbieten. Diese sollten natürlich über den „Vortrag“ hinausgehen. Abgesehen davon: Flughäfen können wir sowieso nicht. Was haben wir über den Materialismus hinaus anzubieten? Haben wir neben „Made in Germany“ nicht auch das Label „Dichter und Denker“? Wie wäre es, wenn wir das Denken ganz nach vorne stellen und bei einer herausragend produktiven Wissensgesellschaft landen?

 

Strengt euch an, weil´s schwer wird!

Der nimmermüde Wirtschaftsdenker und Journalist Wolf Lotter fordert das mit aller gebotenen Prominenz seit Jahren! Nicht nur in seinem Essay „Strengt euch an!“ führt er uns diese Option als Notwendigkeit aus. Und es geht – nur nebenbei bemerkt – nicht um eine noch weitere Akademisierung!

Vielleicht schaffen wir es, baldmöglichst ein mögliches Label wie zum Beispiel „German Inside“ mit Inhalt zu füllen und wieder ein Commitment á la „Made in Germany“ herzustellen. Vielleicht schaffen wir es, „Made in Germany“ neu zu definieren? Für uns selbst eine neue Vision zu finden und zu erarbeiten, die uns alle voranbringt. Eine neue Qualität aus Deutschland für uns selbst und für die Welt. Als Exportnation sind wir darauf angewiesen. Vielleicht gelingt es gar wieder, dass „German free“-Produkte und Dienstleistungen als wenig attraktiv gelten.

Die überall propagierte und mittlerweile im Grundsatz geforderte „Vier-Tage-Woche“ scheint mir dazu schon mal ein Anfang zu sein; wenn auch ein denkbar schlechter. Menschen, die keine Führungsverantwortung mehr übernehmen wollen, machen es nicht besser. Der Rückzug auf die Inanspruchnahme von Sozialleistungen? Das muss nicht weiter bewertet werden. Aber insgesamt ist das dann alles wieder richtig gut. Warum? Weil es schwer ist …

 

 

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Dr. phil. Markus Reimer ist Keynote-Speaker und Lead Auditor für Managementsysteme.