Paketabgabe: Zahlen, weil der Postmann klingelt

Der Onlinehandel zeichnet sich nicht durch die Pakete aus, sondern durch den Zugang, durch die Nahtstelle zwischen Händler und Kunden. Darum ist eine Paketabgabe grober Unfug. Eine Empörung. 

 

Paketabgabe – das erste Problem: Paket gegen Laden

Können Sie sich noch erinnern? Damals, als in Deutschland Politiker der Union eine Steuer oder Abgabe auf Pakete erheben wollten? Erinnern Sie sich? Sie wollten damals so die Innenstädte und die darin befindlichen Läden retten? Na, klingelts wieder?

Achso, nein, der Vorschlag ja ist noch gar nicht mal so alt. Er stammt genau genommen aus dem Dezember 2020. Und schon drängt sich die Frage auf: Wie kommt man auf so einen Vorschlag? Der Wirtschaftsdenker Wolf Lotter hat eben in genau diesem Jahr ein so unfassbar notwendiges Buch geschrieben: Zusammenhänge. Wie wir wieder lernen, die Welt zu verstehen. Um es kurz zu fassen: Wir müssen wieder lernen, und zwar alle, und die betreffenden Unionspolitiker erst recht, Zusammenhänge zu verstehen.

Der hier zugrundeliegende Zusammenhang dürfte gewesen sein: Amazon, Zalando und Konsorten machen mit ihren Paketen einen riesigen Reibach, während die Händler in den Innenstädten ihre Läden zusperren mussten und müssen. Also Pakete gegen Läden, und die Pakete haben einen so unglaublich riesigen Vorsprung. Eine Steuer auf Pakete wird diesen Vorsprung verringern. Klare Kausalität.

Aber das nennt man einen monokausalen Zusammenhang. Das Buch von Wolf Lotter heißt deswegen auch nicht „Zusammenhang“, sondern „Zusammenhänge“. Weil es immer und ausnahmslos mehrere gibt.

Eine Hypothese: Nicht nur Amazon und Zalando verschicken Pakete. Und nun klingelts? Und wen wird die Steuer aber so gar nicht beeindrucken?

Richtig.

Es geht nicht um Pakete gegen Läden. Es geht um Grundsätzlicheres.

 

Paketabgabe – das zweite Problem: Digitalisierung verstehen

Es geht gar nicht um die Pakete. Und darum kann es auch nicht um die Paketabgabe gehen. Pakete haben Quelle, Schöpflin und wie sie alle hießen schon vor vielen Jahrzehnten verschickt. Heute gibt es sie trotz verschickter Pakete nicht mehr. Der Onlinehandel zeichnet sich nicht durch die Pakete aus, sondern durch den Zugang, durch die Nahtstelle zwischen Händler und Kunden.

Das passiert im Laden über die Schnittstelle „Ladentür“. Der Kunde betritt den Laden, sofern er offen hat, und kann dann dort das einkaufen, was eben vorhanden ist. Hat der Laden zu, dann gibt es zwar immer noch eine Schnittstelle, aber die ist dann eben mehr Schnitt als Stelle. Was wäre also zu tun? Richtig: neue Schnittstellen, gerne auch Nahtstellen genannt, schaffen. Dazu kann man eine zweite Ladentür einbauen – oder eine digitale Öffnung hin zu Kunden schaffen.

Dazu könnte man dann alle bisherigen Kunden informieren. Doch halt: Wie denn? Wenn der Kunde bisher ausschließlich durch die Ladentür über die symbolische Theke bedient wurde … wer kennt den Kunden wirklich? Wie könnte er erreicht werden? Wer informiert ihn wie über Angebot und neue digitale Ladentür? Den Kunden, der mit dem Hut! Die Kundin, die immer mit dem Pudel in den Laden kommt?! Wie heißt sie? Wer kennt sie? Was will sie? Wo erreichen wir sie? Fragen über Fragen, die unbeantwortet bleiben.

Es geht nicht um Pakete, es geht auch nicht um den Online-Shop oder wenn, dann auch nicht um die eMail-Adresse des Ladens. Es geht um den Zugang zu den Kunden; und der soll sich anders gestalten, als die Zeitschrift brand eins einmal so schön titelte: „Kauf, du Arsch!“

Digitalisierung bedeutet einen viel intensiveren und vor allem datenbasierten Zugang zu Kunden aufzubauen, zu pflegen, auszubauen.

Was hilft da jetzt die Paketabgabe?

Genau!

 

Paketabgabe – die Lösung Teil 1: Der digitale Zwilling

Wir wissen aus eigener Erfahrung, dass wir, wenn wir uns im Internet tummeln, meistens nicht kaufen. Wir machen alles Mögliche: Wir kommunizieren, wir informieren uns, wir spielen, wir konsumieren Medien – und am Ende kaufen wir auch hin und wieder. Was das für den Laden in der Innenstadt heißt? Er muss die analogen Grundsätze ins Digitale übertragen. Ansonsten ist er mit seinem Online-Shop am Ende des Internet-Universums angesiedelt. Dort wird ihn niemand finden.

Kommunizieren und informieren sind die Schüssel zum Zugang zum Kunden. Dazu muss der Ladenbesitzer seine Kundinnen und Kunden digitalisieren; er braucht den Zugang zu ihnen, obwohl diese nicht an seiner Ladentür stehen. Und er braucht Kundinnen und Kunden, die ihn im Gedächtnis behalten – auch wenn sie nicht an seiner Ladentür vorbeigehen. Das ist eine Aufgabe fürs Analoge und das Digitale. Das geht nicht über Nacht. Aber die Digitalisierung kam auch nicht über Nacht.

Und es muss eine Art digitaler Zwilling des Ladens im Netz zu finden sein. Wenn der Kunde weiß, dass dieser Laden alles für seinen Wunsch, sein Bedürfnis tun wird, der Service ein ausgezeichneter ist, die dort arbeitenden Menschen einfach sympathisch sind: Das haben die Kundinnen und Kunden im Analogen erfahren und vielleicht auch schon im Digitalen. Also werden die meisten von ihnen auch Kontakt zu „ihrem Laden“ aufnehmen. Der Laden ist nicht mehr am Ende des Universums, sondern ganz nah an der Kundin. Der Laden ist dort in der Innenstadt, aber auch hier bei mir als Kunde im Netz. Der digitale Zwilling wird wahrgenommen.

Wobei: „Zwilling“ heißt hier noch nicht einmal, dass der gesamte Laden im Netz abgebildet sein muss. Der Laden muss nur im Sinne der eigenen Kunden auffindbar, aufnahme- und startbereit im Netz verfügbar sein. Der Rest kann sogar über eine einfache Mail abgewickelt werden.

 

Paketabgabe – die Lösung Teil 2: Digitalisierung verstehen

Jan Schnellenbach, Professor für Volkswirtschaftslehre an der Brandenburgischen Technischen Universität, meint auf Twitter in einem Tweet vom 20.12.2020: „Die Einzelhändler müssen sich überlegen, wie sie attraktiver werden. Das ist deren Job. Nicht meiner, und auch nicht der Job der Politik.“ Und damit hat er einfach recht!

Die Zeiten haben sich geändert. Die Zeiten ändern sich immer. Und es ist Unsinn Waschbretter zu subventionieren, um den aufkommenden Waschmaschinen entgegenzuwirken. Also müssen sich die Einzelhändler in der Innenstadt wohl oder übel um ihr Angebot für ihre Kunden kümmern. Kunden, die vorher bei ihnen gekauft haben, sind ja nicht verschwunden oder kaufen einfach nichts mehr. Nein. Sie kaufen nach wie vor. Aber eben woanders. Und da hilft es dem einen oder anderen Ladenbesitzer sicherlich, sich selbst auf die Finger zu schauen. Wo kaufen sie denn selbst? Oder ihre Kinder? Oder ihre Bekannten und Verwandten? Und warum?

Dann wird sich herausstellen, dass das alles keine Raketenwissenschaft ist. Es hat sich schon lange angedeutet. Corona hat alles nur noch verstärkt, auf die Spitze getrieben. Digitalisierung, genauer gesagt, die digitale Transformation meint nicht einfach nur technisch irgendetwas umzusetzen was eben so möglich ist. Zum Beispiel ein Baukastensystem für einen Online-Shop. Es geht darum, die Zusammenhänge zwischen Kunden, Angeboten und den entsprechenden Nahtstellen zu verstehen. Im modernen Qualitätsmanagement spricht man von den Erwartungen und Bedürfnissen der Kunden. Das schaffen so manche Läden richtig gut. Und andere nicht. Letztere schreien dann nach der Politik. Die Politik müsste da etwas machen. Und „etwas machen“ heißt dann „Paketabgabe“.  Was für ein Unfug.

 

Conclusio in Abschluss-Anekdoten

Ich habe Mitte November 2020 bei einem Werbe-Grafik-Laden in meiner Region telefonisch nach einer Greenscreen für mein Homeoffice nachgefragt. Ein freundlicher Mitarbeiter konnte mir nicht genau sagen, was ein solcher kosten sollte und wie lange es dauern würde, bis er lieferbar wäre. Ich sollte ihm bitte eine Mail übers Kontaktformular der Website schicken. Das habe ich am gleichen Tag gemacht: Bis Mitte Dezember 2020 habe ich noch keine Antwort erhalten.

Ich habe bei einem Innenstadt-Laden vor einigen Wochen per Mail mit einem Screenshot aus dem Netz nach einem bestimmten Produkt nachgefragt. Das Unternehmen ist nur mit einer Mail-Adresse im Netz präsent. Da ich das Unternehmen aber analog sehr gut kenne – das Unternehmen mich aber nicht – war das für mich in Ordnung. Zwei Tage später erhalte ich eine Antwort. Das Produkt ist nicht lieferbar, aber vielleicht möchte ich etwas anderes? Ich wollte; per Mail geantwortet. Bis Mitte Dezember keine Antwort.

Ich habe in einem Elekronikladen nach Plattenspielern geschaut. Es standen mehrere zur Auswahl. Von 99 Euro bis 699 Euro. Zwei Verkäufer unterhielten sich untereinander wohl sehr gut. Ich schaute. Ging von Plattenspieler zu Plattenspieler. Irgendwann erlaubte ich mir, die beiden zu unterbrechen und nachzufragen, ob mir einer von ihnen weiterhelfen konnte. Einer erklärte sich bereit. Meine Frage: „Sie haben hier Plattenspieler von 99 bis 699 €, aber ich kann rein von der Ausstattung keinen Unterschied erkennen. Worin unterscheiden die sich denn nun genau?“ Die Antwort: „ Naja, die Plattenspieler für 699 € sind schon besser als die für 99 €.“ Meine Frage: „In was besser?“ Die Antwort: „Eigentlich in allem!“

Mit so einer Performance muss man nicht mehr überlegen, wie man attraktiver werden kann. Da stellt sich eher die Frage, wie der Laden bis hierher überhaupt überleben konnte. Und da hilft es erst recht nicht, dass es teurer werden soll, wenn der Postmann klingelt. Paketabgabe!?

„Die Einzelhändler müssen sich überlegen, wie sie attraktiver werden. Das ist deren Job.“ Jan Schnellenbach ist nichts hinzuzufügen.

 

 

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Dr. phil. Markus Reimer ist Keynote-Speaker und Lead Auditor für Managementsysteme.