Die Hierarchie – Vier Betrachtungen Richtung Agile Organisation
Hierarchien zeichnen sich vor allem dadurch aus, dass jemand unten sein muss, damit ein anderer oben sein kann. Wenn niemand unten ist, dann kann es auch keine Hierarchie geben.
Die systemische Hierarchie: Den Schein wahren
Als Offizier der Bundeswehr wurde ich eines Tages, ich will nicht sagen Opfer, so dennoch Ziel einer Personalentwicklungsmaßnahme. Als Zugführer einer Ausbildungskompanie, was meine Wunschverwendung war, wurde ich plötzlich zum Sicherheitsoffizier und, was noch schlimmer war, zum Offizier für unter anderem IT-Infrastruktur und -Sicherheit bestimmt. Ein Sich-Widersetzen ist in einem hierarchischen System des Militärs eher unangebracht. Das hat auch gute Gründe.
So wurde ich also nahezu über Nacht Verantwortlicher für zwei Bereiche, von denen ich aber überhaupt keine Ahnung hatte. In der Hierarchie war ich aber plötzlich weiter oben: Ich war im Stab angelangt. Ohne Fachwissen. Ohne Fachkompetenz. Aber mit Macht in meinem Fach. In dem ich aber eben nichts wusste. Und auch nichts konnte. Aber das hatten wir schon.
Wie kam es dazu? Das ist relativ einfach: Die Stelle war frei geworden und musste zwingend besetzt werden, damit der Stab wieder voll besetzt war. Eine Stellenbesetzung mit Menschen, die nicht nur eigentlich von der Stelle keine Ahnung haben – und sich für das Thema auch nicht interessieren! – ist dem System geschuldet. Das System muss vollständig sein und nach außen auch dem Schein nach belegen können. „Alle Stellen besetzt“ liest sich gut. Es tut aber nicht gut. Vor allem nicht dem System und den darin Befindlichen. Denn um das System am Laufen zu halten, müssen meist enorme Anstrengungen unternommen werden – von anderen Systembeteiligten. In meinem Fall war das damals der mir zugeordnete Feldwebel. Das hat zwar irgendwie geklappt, aber von einer agilen Organisation kann hier nicht gesprochen werden.
Die Karriere-Hierarchie: Bis zur Unfähigkeit
Betrachtet man meinen Fall, dann hat dieser wenig bis nichts mit dem berühmten Peter-Prinzip aus dem Jahr 1969 zu tun. Doch auch diese Seite gilt es zu beleuchten, wenn von Hierarchien gesprochen wird.
Das nach Laurence J. Peter benannte Peter-Prinzip besagt bekannter Weise, dass in einer Organisation mit ausreichend vorhandenen Hierarchie-Stufen grundsätzlich jedes Organisationsmitglied solange nach oben befördert wird, bis es auf einer Stufe ankommt, auf der es aufgrund völliger Unfähigkeit keinen sinnvollen Beitrag zum Erfolg der Organisation mehr leisten kann. Oftmals bemerken das die so Beförderten selbst; aber die Schwierigkeit besteht dann darin, aus dieser Nummer, oder besser: aus diesem großen Büro aus einer oberen Etage ohne Gesichtsverlust wieder herauszukommen. Dadurch legen sich Systeme eigentlich selbst lahm. Aus so besetzten Etagen sind keine Anregungen zu Innovation, Wissen oder Qualität zu erwarten.
Jedoch beweist sich immer wieder: Durch sich bildende Ausgleichsmechanismen verschiedenster Ausprägungen auf den darunterliegenden Stufen – also dort, wo das Peter-Prinzip noch nicht zugeschlagen hat -, wird die Funktionsfähigkeit des Systems aufrechterhalten. Das führt oft dazu, dass in Unternehmen ignoriert wird oder das Gegenteil von dem gemacht wird, was „von oben“ kommt, um das System am Laufen zu halten. Das heißt: Eine ungeschriebene Kompetenz-Hierarchie stellt als eine Art Parallel-Hierarchie für die offizielle Oben-Unten „Macht-Hierarchie“ den Betrieb sicher. Das ist durchaus absurd, aber immer wieder zu erlebende Praxis; wenn auch nicht gängige Praxis. Zum Glück.
(Link zum Buch „Das Peter-Prinzip“)
Die Macht-Hierarchie: Keine fremden Götter!
Hierarchien zeichnen sich vor allem dadurch aus, dass jemand unten sein muss, damit ein anderer oben sein kann. Wenn niemand unten ist, dann kann es auch keine Hierarchie geben. Oben kann aber nur jemand sein, der dem unten gegenüber überlegen ist. Ansonsten wäre es eine eigenartige Konstellation – zumindest was die klassische oder traditionelle Betrachtungsweise betrifft.
Nachdem das System als Selbsterhaltungsmechanismus und die systemische Dysfunktionalität des Peter-Prinzips in Hierarchien betrachtet wurde, geht es nun ins Zentrum der Macht: zumeist in die oberste Etage. Dort sitzt dann jemand, der auch vollends davon überzeugt ist, dass er dorthin und nirgendwo anders hingehört. Das ist grundsätzlich nicht schlecht, wenn eine Führungskraft Souveränität und Kompetenz verkörpert. Das Problem taucht dann auf, wenn der sogenannte Dunning-Kruger-Effekt eintritt – zumeist als logische Konsequenz des Peter-Prinzips: Ein auf seiner Position einigermaßen inkompetenter Mensch sitzt in seinem großen Büro in der obersten Etage und führt das Büro und die Etage auf sein Können zurück. Dadurch beginnt dieser Mensch, das eigene Können systematisch zu überschätzen. Dies gelingt vor allem, wenn er konsequent die Kompetenz anderer unterschätzt – aus der eigenen Selbstwahrnehmung heraus. Man könnte auch sagen: Er kann gar nichts dafür. Das muss man aber nicht sagen.
Die Macht-Hierarchie: Herrschende und Beherrschte
Das alles hat nicht nur in gewisser Weise fatale Auswirkungen. Da diese Menschen nicht durch Kompetenz überzeugen können, müssen sie ihre Macht, basierend auf der entsprechend oben angesiedelten Hierarchiestufe, ausspielen. Sie können Macht und Kompetenz nicht voneinander trennen und nehmen an, das eine sei das andere. Das ist es aber nicht.
Also nehmen diese an, dass ihre Entscheidungen und Vorgaben sozusagen unübertrefflich sind und dass zeitgleich Vorschläge oder Ideen anderer nur geringwertiger sein können. Eine logische Konsequenz für Herrscher und Beherrschte. Daraus leitet sich dann auch ein manifestierter Kontrollwahn ab. Oben sitzt eine Art Gott. Und der weiß und kann bekanntlich alles. Punkt. An dieser Stelle dürften wir am weitesten von der agilen Organisation entfernt sein. Und umso länger eine derartige Herrschaft andauert, desto mehr siedeln sich rings um den Herrscher Organisationsmitglieder an, die dieses Spiel mitspielen. Man könnte auch Ja-Sager sagen. Das muss man auch. Und somit wird die Selbsteinschätzung und Macht der Herrschenden durch die permanent positive Rückmeldung der Beherrschten noch weiter zementiert. Bekannter Weise ist Zement kein so gutes Schmiermittel – für eine agile Organisation erst recht nicht.
(Siehe hierzu auch den Blog-Artikel: Macht macht)
Die Viele-Hierarchie: Die Kompetenz machts
Wenn wir immer wieder von agilen Organisationen sprechen und von deren Voraussetzungen, dann sind die oben geschilderten Hierarchie-Funktionen und Dysfunktionen mehr als hinderlich, ja, eher konsequent verhindernd. Hierarchien müssen in modernen Organisationen völlig anders gedacht werden. Frederic Laloux stellt in seinem ebenfalls berühmten Buch „Reinventing Organizations“ das Prinzip der natürlichen Hierarchie vor. Hier geht es nicht mehr um Macht und um Machtgefälle, sondern viel mehr um „Kompetenz-Hierarchien“: Wer kann was? Wer kann was besser als ein anderer? Es geht um Selbstorganisation. So sieht der Nährboden zu Innovation, zu neuem Wissen oder zur Verbesserung der Qualität aus. Das ist nicht neu!
(siehe zum Thema Selbstorganisation auch „Working out loud – Eine neue Managementsau?“)
Was bedeutet das? Das beinhaltet einen großen Unterschied zur immer wieder verbreiteten Meinung, dass in agilen Organisationen alle gleich wären und alle alles können und machen dürfen und sollen und müssen. Theoretisch wäre dies vielleicht möglich. Aber in der Praxis sieht das nun mal anders aus: Jeder Mensch hat seine eigenen Interessen und darauf gründend seinen Wissensschatz und seine eigenen Kompetenzen aufgebaut. In agilen Organisationen soll genau das genutzt werden. Dazu passt es dann aber nicht, wenn wir verpflichtet davon ausgehen müssen, dass nur die Hierarchie Wissen und Kompetenz und Innovation begründet. Und darum permanent irgendjemand oben gefragt werden muss.
Die Rolle der Führung in neuen Hierarchien
Laloux spricht von vielen natürlichen Hierarchien in Organisationen. Wer kann was? Wer kann was besser als ein anderer? Was kann dafür ein anderer wieder besser? Dies ist jedoch nicht in einer klassischen Hierarchie abbildbar. Dies muss sich in der Tat natürlich bilden. Diese natürlichen Hierarchien bilden sich selbstorganisiert – wenn man sie denn lässt. Und: Wenn alle mitspielen. Es müssen sich alle darüber im Klaren sein, dass alle etwas zum Erfolg der Organisation beitragen können. Wer kann das gewährleisten? Richtig:
Führungskräfte sind deswegen bereits heute und in Zukunft noch viel mehr gefordert – und das ist auch nicht mehr neu! – Ermöglicher, Dienstleister und Förderer für das eigene Team zu sein und dieses dabei Richtung Vision zu lotsen. Dass diese Herausforderung um einiges schwieriger sein dürfte, als einfach nur eine Hierarchie zu verwalten und auszuleben, liegt auf der Hand. Eine Alternative dazu dürfte es in absehbarer Zeit auch nicht mehr geben.
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