Reflexion. Gedankensprünge zu einem Begriff

Die Interviewerin des Deutschlandfunks fragte mich dann, wie man denn in Schulen die Kompetenz zur Reflexion bewerten, also benoten könnte. Das wusste und ich weiß es noch immer nicht. Aber sie ist deswegen keinen Deut unwichtiger.  

 

Rückblick. Der Abschluss.

Das Ende eines Jahres führt sehr gerne und deswegen auch schon traditionell dazu, dass man einen Blick zurückwirft. Und es werfen viele. In allen Medien. Mit und ohne Kompetenz. Aber fast immer mit dem Anspruch, das sei nun der Blick gewesen, auf den es ankommt.

Ich habe in den letzten Jahren immer einen – zumindest für mich – besonderen Blogartikel zum Abschluss eines Jahres geschrieben und veröffentlicht. Das möchte ich in diesem Jahr nicht machen. Es wurde so viel geschrieben, gesendet und vor allem geschwurbelt, dass es mir zuwider ist. Und 2021 wird es nicht besser werden, zumindest wenn man Sascha Lobo´s Gelaberprognose glaubt. Und warum sollte man das nicht?  Corona hier und Corona da und so schaffen wir das und so nicht und das ist alles nachvollziehbar oder doch nicht und irgendwie verständlich. Je nach dem und kommt darauf an. Besser wäre es aber einmal, sich Gedanken zu machen über das Darüber und Dahinter. Womit wir den einfachen Rückblick überwunden hätten, hin zur Reflexion. Hier einige „Gedankensprünge“.

 

Reflexion. Was es ist.

Reflexion ist immer referenziell. Es ist nicht möglich einfach nur so zu reflektieren. Es braucht Bezugs- und Standpunkte, eben Referenzen. Sehr bekannt ist die Reflexion von Dürrenmatts Physiker. Mit bekanntem Ergebnis. Dazu braucht es aber Konsequenz. Und es braucht Rationalität. Nicht nur Rationalität, sondern Rationalität im Kontext. Ansonsten hätten die Physiker keine Konsequenzen ziehen müssen. Es braucht die Reflektierenden, auch wenn es keine Physiker sind. Und das zu Reflektierende. Den Zeitpunkt des Reflektierens, damit es nicht zu spät ist. Und so hat auch schon Goethe Reflexion definiert als „das prüfende und vergleichende Nachdenken über etwas.“ Prüfend und vergleichend zeigt Richtung Rationalität. Das ist sehr allgemein und trotzdem schon inhaltsschwer. Es klingt vielleicht einfacher, als es in Wirklichkeit ist.

Es ergeben sich einige entscheidende Fragen, die beantwortet werden müssen, um die Herausforderung der Reflexion ernsthaft annehmen zu können. Wer reflektiert? Über was wird reflektiert? Welche Reflexionsbezüge gibt es? Wann wird reflektiert? Wie wird reflektiert? Und warum wird überhaupt reflektiert? Weil ein Jahr zu Ende ist? Durchaus möglich.

Trotzdem: Einfach mal schnell nachdenken reicht nicht!

 

Reflexion. Ein Beispiel.

Nehmen wir mal wieder ein Konzert der Rockgiganten Guns´n Roses.

Wer könnte darüber sinnvoller Weise reflektieren? Ich als Zuhörer, ein Journalist als Kritiker oder Slash als Bandmitglied.

Über was wird reflektiert? Die Akustik, die Playlist, die Stimmung auf der Bühne, die Stimmung im Publikum, die Organisation des Konzerts, Preis-Leistungsverhältnis, Verhältnis der alten Stücke zu den neuen Stücken und die Frage: „Welche neuen Stücke?“ Vieles ist möglich.

Welche Reflexionsbezüge, Referenzen gibt es? Frühere Konzerte der Gunners, Konzerte anderer Bands, Erfahrungen aus dem Publikum, technisches Know-How der Journalisten oder Besucher. Vieles ist möglich.

Wann wird reflektiert? Zu Beginn, während oder am Ende des Konzerts. Oder erst ein paar Tage später. Es wird ein Unterschied sein, ob Slash während des Konzerts die eigene Performance oder ich als Zuschauer am Ende des Konzerts das Ganze bewerte.

Wie wird reflektiert? Alleine, schriftlich, nach Checkliste, emotional, im Gespräch zum Beispiel mit Experten oder anderen Fans. Vieles ist möglich.

 

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Reflexion. Das Wozu.

Was dabei aber immer bleibt ist die „Mangelreflexion“, da wir uns ja grundsätzlich in komplexen Situationen und Settings befinden. „Reflexion ist keineswegs Vollerfassung des Gesamtsystems in all seinen Elementen und Relationen.“ (Luhmann/Schorr 1988, in „Reflexionsprobleme im Erziehungssystem“). Wir haben also Bezugspunkte, Relationen, Fokussierungen und damit zugleich Einschränkungen. Referenzierung bedeutet notwendige Reduktion des Ganzen, um dem Rationalen wenigstens einigermaßen Herr werden zu können. Um dies zu erschließen, müssen wir über unser eigenes Nachdenken nachdenken. Die klassische Selbstreflexion. Warum wähle ich das so und nicht anders? Ein guter Grund für die Reflexion ist eine gute Ausgangsbasis für die folgende Handlung.

Denn Reflexion ergibt immer nur dann einen Sinn, wenn etwas daraus folgt oder etwas daraus folgen könnte und kann. Sofern keine Handlungsoptionen zur Verfügung stehen, ist Reflektieren sinnlos. Der Grund für die Reflexion wird somit nicht nur zur Ausgangsbasis, sondern zur Ursache des weiteren Handelns. Und weil Handlungsmotive immer gut überlegt und fundiert sein sollten, liegt es auf der Hand, dass die Reflexion an sich viel mehr stete Notwendigkeit als einfach nur Kür ist.

 

Reflexion. Das Woher.

Kann man Reflektieren erlernen? Das kann ich tatsächlich nicht beantworten. Im Frühjahr 2020 wurde ich vom Deutschlandfunk zur Zukunft der Schule interviewt. Meine Forderung war, dass man es schaffen müsse, den Schülerinnen und Schüler Reflexionskompetenz anzueignen. Ich halte das für wichtig, da es nicht mehr so sehr darum geht an Daten und Informationen zu gelangen. Zu unterscheiden, was nun wichtig, richtig und handlungsleitend ist oder sein könnte: Das ist die Herausforderung.

Die Interviewerin fragte mich dann, wie man denn in Schulen die Reflexionskompetenz bewerten, also benoten könnte. Das wusste und weiß ich noch immer nicht. Aber sie ist deswegen keinen Deut unwichtiger.

Zu reflektieren ist anders als zu reproduzieren. Aber um Reflexion praktizieren zu können, muss ich etwas wissen. Nur Reflektieren geht nicht.

 

Reflexion. Das Fazit.

Die Reflexion ist in allen Bereichen, privat und beruflich, nicht zu überschätzen. Aber Reflexion bedeutet auch intensive Gedankenarbeit. Und wenn wir uns im beruflichen Kontext bewegen, zum Beispiel im großen Feld der Managementsysteme, dann ist die Notwendigkeit für gezielte, fokussierte und „reflektierte“ Reflexionen unübersehbar.

Nehmen wir ISO 9001 als Referenzsystem, so haben wir an vielen verschiedenen Stellen die Anforderung gezielt zu reflektieren: Über die vielleicht veränderten Erwartungen und Bedürfnisse der interessierten Parteien der eigenen Organisationen, über die Performance der eigenen Leistungen, über die (Neu-) Entwicklungen, über die Zielerreichung, über die Unternehmenspolitik. Das alles ist zwingend notwendig. Und es braucht dafür kompetentes Herangehen: Wer? Was? Warum? In Bezug auf Was? Wann? Wie? Und dann?

Das ist aber nicht nur im Beruflichen so. Es geht um das Finden des möglichst Rationalen, um Fakten und deren Bewertung. Aber auch das hilft noch nicht, wie uns der Schweizer Großdenker Friedrich Dürrenmatt, der 2021 seinen 100. Geburtstag hätte feiern können, hinterließ: „Das Rationale am Menschen sind die Einsichten, die er hat. Das Irrationale daran ist, dass er nicht danach handelt.“

Und so können wir nun auch rückblickend das Jahr 2020 reflektieren: Es war Mist.

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen und uns allen ein besseres neues Jahr. Dass es dabei an uns selbst liegt, liegt auf der Hand. Und dass wir dabei nicht einfach so wieder in unsere alten Lebensmuster zurückkehren sollten, das scheint auch eine Reflexionserkenntnis zu sein. Sorgen wir dafür, dass sinnvolle Handlungen für alle daraus werden. Es war schon einmal einfacher. Ja.

 

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