Euklid und das entgrenzte Wissen

Das macht es nicht einfach. Denn spätestens dann ist plötzlich klar, dass Willibalds Wissen nicht mehr ausreicht. Es gilt am Puls der Zeit zu bleiben. Dazu gilt es aber herauszufinden, wo genau dieser Puls sich überhaupt befindet, wer ihm warum nachfühlen soll und inwiefern dieser dann für den Herzschlag der Zukunft des Unternehmens notwendig ist.

 

Wenn Willibalds Wissen weggeht

Der Umgang mit Wissen ist in Unternehmen nach wie vor kompliziert. Ich bin – nicht nur – zu dieser Frage in Organisationen unterwegs und zumeist geht es in den Antworten um die Sicherung des bisherigen Wissens. Also: Wie kann das Wissen, welches sich im Unternehmen befindet im Unternehmen gehalten werden; zum Beispiel bei der anstehenden Pensionierung besonderer Wissensträger. Mit anderen Worten: Wenn Willibald geht, wer weiß dann eigentlich noch das, was Willibald weiß? Eine Lösung ist oftmals, dass man Willibald, sobald er weg ist, wieder zurückholt; zum Beispiel als Berater auf Minijob-Basis oder ähnliche Konstrukte. Das wäre aber auch vorher schon möglich gewesen, denn Willibald ging nicht abrupt in Pension. Das hatte sich über mehrere Jahrzehnte schon abgezeichnet. Also: Wie bleibt das Wissen auch ohne Willibald im Unternehmen?

Das ist eine berechtigte und zum Teil auch existenzielle Frage. Aber es nicht die einzige Frage in Bezug auf Wissen der Organisation.

Eine weitere Frage, auf die in Regel Antworten gesucht werden, ist die nach der Verteilung des organisationsinternen Wissens. Wo finde ich welches Wissen? Wer sichert welches Wissen und wer darf und soll darauf wo zugreifen? Auch auf diese Fragen gibt es bereits Antworten. Oftmals sind es eigene Intranetlösungen, Unternehmenswikis oder erworbene Software. Dass dabei aber die Unternehmenskultur eine wesentliche Rolle spielen muss steht außer Frage. Mit dem Verständnis „Wissen ist Macht“ bleibt jedes Intranet, Unternehmenswiki oder jede Software leer.

 

Wissen jenseits der Willibalds

Es gibt aber noch andere Fragen, die das Wissen der Organisation betreffen, die derzeit noch ein Schattendasein führen – und auf die es deswegen auch noch sehr wenige Antworten gibt. Es sind unter anderem folgende Fragen:

  • Welches Wissen brauchen wir für die Zukunft?
  • Woher bekommen wir das notwendige Wissen für die Zukunft?
  • Wie können wir eigenes Wissen für die Zukunft entwickeln?

Dass der technologische Fortschritt im Raketentempo durch alle Branchen bricht ist keine neue Erkenntnis, eher ein Allgemeinplatz. Sofern man aber nun überhaupt ob dieser Tatsache eine für das eigene Unternehmen entscheidende Fragestellung erkennt, so ist man dann oftmals meilenweit von einer Antwort entfernt. Das macht es nicht einfach. Denn spätestens dann ist plötzlich klar, dass Willibalds Wissen nicht mehr ausreicht. Es gilt am Puls der Zeit zu bleiben. Dazu gilt es aber herauszufinden, wo genau dieser Puls sich überhaupt befindet, wer ihm warum nachfühlen soll und inwiefern dieser dann für den Herzschlag der Zukunft des Unternehmens notwendig ist.

 

Herr Euklid, Willibald und das entgrenzte Wissen

Bei all diesen Fragestellungen trifft nun der alte griechische Philosoph Euklid auf Willibald – und sie verstehen sich erstmal gut. Denn Willibald ist Träger des Wissens, welches in der Organisation gebraucht wird. Es wird deswegen gebraucht, weil es nicht nur richtig, sondern auch wichtig ist. Wenn Not an Mann ist, dann fragt man Willibald, denn er ist schon lange im Unternehmen, hat unendlich viel Erfahrung und hat alles schon mal erlebt. Willibalds Wissen sind keine Vermutungen oder Annäherungen, sondern es ist Fakt. Sozusagen unumstößlich. Soweit so gut.

Euklid war derjenige, der – zunächst! – erkannt hat, dass es überhaupt exaktes unumstößliches und für alle Zeiten geltendes Wissen gibt. Euklid fand dieses Wissen, diese Erkenntnis im Feld der Geometrie. Er erkannte in ihr nicht nur eine, sondern die exakte Logik. Sie war glasklare offensichtliche Wahrheit und damit exaktes Wissen. So zum Beispiel war es unumstößlich, dass in der Fläche zwei Parallelen sich niemals treffen könnten. Es gibt keinen Schnittpunkt. Es sind ja Parallelen. Würden sie sich treffen, wären es keine Parallelen. Das klingt logisch und ist bestehendes unangreifbares Wissen. Das ist so. Euklid und Willibald gehen hier einher; parallel sozusagen in die gleiche Richtung. Und dann kommt die Krümmung.

 

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Euklid und die Grenzen des Wissens

Wissen ist vor allem dadurch definiert, dass es entscheidungs- und handlungsrelevant ist. Dazu muss es abgesichert sein, andernfalls dürfte es keine allzu große Relevanz haben. Wenn Parallelen sich noch nie getroffen haben, sich nicht treffen und sich auch nie treffen werden, dann ist das eine klare Grundlage.

Eigentlich.

Es sei denn, die Ebenen sind nicht absolut flach. Und damit wurde der bis dahin gültigen Geometrie das Fundament entzogen. Denn es gibt mehrere geometrische Systeme.

In der Praxis: Der Architekt kann jederzeit die euklidische Geometrie für die Planung eines Bungalows verwenden. Er wird in seinen Handlungen danach hervorragende Ergebnisse erreichen – sofern er ein guter Architekt ist. Es wird jedoch der Kapitän eines Supertankers, der durch den Pazifik pflügt, ein gewaltiges Problem bekommen, wenn er nach der euklidischen Geometrie steuert. Während bei einem Bungalow die Erdkrümmung eher weniger eine Rolle spielt, so spielt sie auf dem Weg durch den Pazifik sehr wohl eine wesentliche Rolle.

Das euklidische Geometriesystem hat seine End- und Allgemeingültigkeit verloren -und dafür seine Grenzen gefunden.

 

Der Nicht-Euklid

Als Folge daraus wurde der Begriff des „Nicht-Euklidischen“ geprägt. Das ist gleichbedeutend mit nicht-absolute Erkenntnis. Das heißt: Es ist möglich, es könnte aber auch anders sein. Und damit wären wir wieder bei den Willibalds. Ihre Erkenntnisse und Erfahrungen sind nie uninteressant. Sie stimmen. Jedoch sind sie nicht für alles und für immer gültig.

Darum gilt es die eingangs formulierten Fragen stets im Auge zu behalten.

  • Welches Wissen brauchen wir für die Zukunft?
  • Woher bekommen wir das notwendige Wissen für die Zukunft?
  • Wie können wir eigenes Wissen für die Zukunft entwickeln?

Die klassischen Willibalds in Unternehmen können hierbei sicher helfen. Es gilt aber immer, auch Nicht-Euklids in der Organisation zu haben. Also Menschen, die wissen, dass es immer weiter geht und es deswegen keine absolute Erkenntnis gibt: „Wir machen das so, weil wir das schon immer so gemacht haben.“ Das würde dazu führen, dass der euklidische Supertanker-Kapitän irgendwo ankommt, aber wahrscheinlich nicht da, wo er eigentlich ankommen sollte. Und es wäre vorauszusehen gewesen, wenn man es nur gewollt hätte.

Ein Nicht-Euklid ist nicht gleichzusetzen mit dem Advocatus Diaboli. Während der eine auf Erkenntnis setzt, setzt der andere lediglich auf Kritik. Der Nicht-Euklid ist sozusagen der Advocatus Diaboli 2.0.

Es ist nicht auszuschließen, dass die Willibalds und die Nicht-Euklids in Personalunion agieren. Es muss nur sichergestellt sein, dass die Unternehmen beide Rollen besetzt haben.

Unternehmen, die sich an neuem Wissen ausrichten, dieses neue Wissen in ihre Organisation integrieren oder gar selbst entwickeln, sind zwar immer noch nicht sicher auf die Zukunft vorbereitet, aber sicher besser als alle anderen. Nokia, Kodak oder Quelle sind die berühmten Beispiele.

Und wie würde Euklid dazu ebenso berühmt sagen:

Quod erat demonstrandum.

 

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Dr. phil. Markus Reimer ist Keynote-Speaker und Lead Auditor für Managementsysteme.