Siglufjördur – Vision und Verzückung

Wozu eine Vision? Heute Hering, morgen Hering, immer Hering. Und umso mehr Hering heute vorhanden ist, desto weniger Gedanken macht man sich über morgen. Läuft doch!

 

Der perfekte Moment

Erinnern Sie sich noch an den 14. August 2016? Nein? Ich ja. Es war der perfekte Moment! Für mich. Es war wahrscheinlich der schönste Moment in meinem Leben und er kam völlig unerwartet. Vielleicht wusste ich damals noch nicht, dass es der perfekte Moment war; aber gefühlt habe ich es. Und etwas später auch gewusst.

Was war passiert?

Genau genommen ist eigentlich nicht so viel passiert: Ich saß mit meiner Frau auf einer Terrasse und habe Kaffee getrunken. Dabei haben wir auf den Hafen geblickt. Es war für August relativ kalt, etwas windig, nebelig und auch ein wenig nass. Gegenüber des Hafens lag auf manchen Hügeln und Bergen bereits Schnee. Das ist für August nichts Besonderes, wenn man sich in der Nähe des nördlichen Polarkreises befindet. In Siglurfjördur. Die nördlichste Stadt Islands.

Normalerweise denke ich immer an irgendetwas: an meinen nächsten Vortrag, an mein nächstes Audit, an die Bücher, die es endlich fertigzuschreiben gilt, an meinen nächsten Blogartikel, an dieses, an jenes. Es dreht sich immer. Mal mehr, mal weniger. Und somit bin ich selten da wo ich gerade bin. Und plötzlich: In Siglurfjördur war ich ganz. Es gab nichts, überhaupt nichts als diesen Moment, kaffeetrinkend zusammen mit meiner Frau. Die Stille, der Hafen, die Berge, der Schnee, die bunten Häuser, der Nebel. Ich war angekommen. Der Moment war ganz. Vollständig. Perfekt. Verzückung.

 

Siglufjördur – Eine Stadt hat keine Vision

2017 wurde die Krimiserie „Trapped – Gefangen in Island“ im ZDF ausgestrahlt. Gedreht in Siglufjördur.  2018 wurde im ZDF die Dokumentationsreihe „Inselwelten“ Inseln ausgestrahlt. Eine Folge handelte von Island. (Hinweis: Dieser Link funktioniert nur bis Juli 2019). Ein wesentlicher Bestandteil: Siglufjördur.

Siglufjördur, eine kleine Stadt im Norden Islands, nimmt Fahrt auf. Sie nimmt wieder Fahrt auf. Denn sie hatte schon mal richtig Fahrt aufgenommen gehabt und musste eine Vollbremsung hinnehmen. Irgendwie selbstverschuldet, aber trotzdem weder beabsichtigt, noch in dieser Dimension absehbar. Siglufjördur hatte das Potenzial des Herings erkannt und genutzt. Es wurde Hering gefangen, verarbeitet, gesalzen, „vertonnt“ und in alle Welt exportiert. Bis zu 15.000 Menschen lebten in der Stadt. Die Stadt war ein einziger riesengroßer lebensspendender Hering. Bis er weg war. Er war aus dem Meer verschwunden. Man hatte ihm den Garaus gemacht. Er war weggefischt. 1968 blieben die Netze leer und man stand ohne Hering mit nichts da. Die Menschen verließen den Ort und zurück blieben leere Häuser und Fabrikhallen am Ende Islands. Eine andere Idee, eine andere Vision für Siglufjördur war nicht vorhanden.

Das ist keine so große Überraschung, denn auch heute gibt es noch viele Organisationen, die keine Vision, keine Vorstellung davon haben, wie es in Zukunft werden soll. Und schon gleich gar nicht davon, wie es werden soll, wenn es anders wird. Wenn also der Hering nicht mehr da ist. Und Digitalisierung, Automatisierung oder Big Data bedrohen die Heringe der Gegenwart im größtmöglichem Ausmaß.

Aber viele Organisationen gehen auch heute noch davon aus, dass der Hering nicht ausbleibt. Heute Hering, morgen Hering, immer Hering. Und umso mehr Hering heute vorhanden ist, desto weniger Gedanken macht man sich über morgen. Läuft doch! Mit anderen Worten: Sind wir nicht alle ein bisschen Siglufjördur?

Doch nach Jahren des Siechens nimmt Siglufjördur wieder Fahrt auf! Und das ist gut so. Nicht nur wegen meines perfekten Moments.

 

Siglufjördur – Eine Stadt hat eine Vision

Heute hat die Stadt wieder eine Vision. Weil ein ehemaliger und mittlerweile wieder zurückgekehrter Einwohner sie mitgebracht hat – aus Mexiko, aus Chile, aus der ganzen Welt: Robert Gudfinnsson. Ein Selfmade-Millionär, weltweit unterwegs und geboren in Siglufjördur, kehrt in seine Heimat zurück und hat nicht nur eine Vision, sondern vor allem auch das Geld diese Vision umzusetzen. Und genau das macht er mit Konsequenz. Er baut ein Hotel für 15 Millionen Euro. Er eröffnet zuvor zwei Restaurants – eines in Gelb, eines in Rot. Und genau dieses Rote ist es, in dem ich am 14. August 2016 meinen perfekten Moment habe – ohne Gudfinnsson und seine Vision zu kennen und ohne etwas über diesen wunderbaren Ort zu wissen. Ich kam damals nur zufällig vorbei. Fest steht aber schon heute: Wir werden ganz sicher zurückkehren.

Gudfinnsson will, dass die Menschen stolz sind auf ihre Stadt. Er tut sehr viel dafür. Er investiert sehr viel. Auch an Emotion. Aber auch Handfestes: Es entstehen Skigebiete, ein Golfplatz und ein wenig Industrie. Aber immer mit dem Anspruch, den Charakter dieser seiner Stadt beizubehalten. Das ist sicher nicht einfach, aber machbar.

Die Menschen in Siglufjördur haben erkannt, dass sie in einer besonderen Stadt leben. Sie machen mit. Und es kommen Menschen von außerhalb und siedeln sich an. Weil es eine Vision gibt. Es gibt eine Vorstellung von der Zukunft. Das reizt. Das macht zuversichtlich. Das motiviert. Es macht Freude, wenn man feststellen darf, dass die Vision immer weiter verwirklicht wird. Das ist die Kraft von Visionen. Dann kommen sogar Filmteams und tragen Siglurfjördur in die Welt.

Insofern möchte man in Anbetracht von so mancher Organisation, der Heringssituation und der oben formulierten Frage „Sind wir nicht alle ein bisschen Siglurfjördur?“ gerne formulieren: Schön wärs.

 

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Dr. phil. Markus Reimer ist Keynote-Speaker und Lead Auditor für Managementsysteme.