Die Brüste blinder Frauen

Durch Tasten kann bei Frauen Brustkrebs oftmals frühzeitig erkannt werden. Der Tastsinn ist aber wiederum nicht unbedingt die Schlüsselfertigkeit von Medizinern – jedoch die einer anderen Personengruppe: die von blinden Menschen.

 

Bewährte Logik als traditionelle Grenze für Innovation

Es geht hier um viel! Und vielleicht haben Sie recht, wenn Sie gleich behaupten, dass der Titel irreführend sei oder vielleicht sogar ein wenig despektierlich – aber wenn dieser Post durch diesen Titel mehr Aufmerksamkeit erhält, dann ist das Ziel erreicht. Um was geht es also?

In Deutschland erkranken jedes Jahr ungefähr 60.000 Frauen an Brustkrebs; viele Erkrankungen davon verlaufen tödlich. Dabei kann Brustkrebs auch schon im Frühstadium grundsätzlich auf eine relativ einfache Weise erkannt werden: durch Tasten. Und bei einer frühen Erkennung steigen auch die Überlebenschancen erheblich. Da es sich bei diesem Ertasten um eine medizinische Untersuchung handelt, ist es nur logisch und konsequent, dass diese Untersuchung auch von einem Mediziner oder Medizinerin, also einem Arzt oder Ärztin durchgeführt wird. Denn: Mediziner haben die medizinische Diagnosekompetenz. Bewährt, tradiert, logisch … aber auch hinreichend bewährt und logisch?

 

Veränderter Fokus – und schon wird Frauen geholfen

„Worauf kommt es bei dieser Tastuntersuchung wirklich an?“, fragte sich vor einigen Jahren der deutsche Frauenarzt Dr. Frank Hoffmann. Neben der medizinischen Kompetenz – nämlich Unregelmäßigkeiten, also Knoten in der Brust, zu erkennen – kommt es in der Hauptsache eben auf den Tastsinn an. Der Tastsinn ist aber wiederum nicht unbedingt die Schlüsselfertigkeit von Medizinern – jedoch die einer anderen Personengruppe: die von blinden Menschen. Es ist allgemein bekannt, dass bei Menschen mit Sehbehinderung oder bei gar blinden Menschen ganz andere Sinnesorgane überdurchschnittlich ausgeprägt sind; wie eben zum Beispiel der Tastsinn.

Dieses Vermögen kann als eine Art „Spezialwissen“ verstanden werden, welches nur enorm schwierig, wenn überhaupt übertragen werden kann. Dr. Hoffmann begann also eine Brücke zu bauen zwischen Bestehendem. Erstens: Ein großes Problem – der Brustkrebs -, welches zweitens durch eine relativ einfache Methode – dem Tasten – erkannt werden kann, was drittens wiederum vor allem bestimmte Menschen besonders gut können – sehbehinderte/blinde Menschen. Die logische Kombination daraus war neu – ein klassisches Beispiel für Innovation.

 

Vernetzen für das Etablieren von Innovationen

Dr. Frank Hoffmann kam also auf die Idee, blinde Frauen mit ihrem außergewöhnlich ausgeprägten Tastsinn medizinisch so zu schulen, dass sie Knoten in der Brust von Frauen ertasten können: Medizinische Tastuntersucherinnen (MTU). Sie schaffen es durch eine mehrmonatige Schulung, einhergehend mit ihrem extrem ausgeprägten Tastvermögen, Knoten zu erkennen, die ein zumeist unter Zeitdruck stehender sehender Arzt praktisch nie und nimmer ertasten könnte. Frank Hoffmann setzte mit viel Engagement seine Idee konsequent um: Er gründete die Organisation discovering hands®, brachte Patientinnen mit Ärzten, Ärzte mit MTU, discovering hands® mit Sponsoren zusammen, erarbeitete ein Schulungskonzept für MTU und wird nun nicht müde, seine Idee, die so vielen Menschen hilft und helfen kann, in die Welt zu tragen: Nach Deutschland wird nun auch Österreich in die MTU-Idee einsteigen; Spanien, Israel, Tschechien haben bereits ihr Interesse bekundet.

 

Soziale Innovationen – notwendig, aber ohne Tradition

Daran zeigt sich: Eine echte Innovation ist auf ihrem Siegeszug nur selten aufzuhalten. Und so ist es nicht verwunderlich, dass Hoffmanns MTU-Konzept Auszeichnung über Auszeichnung erhält. Seit einigen Tagen ist er nun auch der Gewinner des „seif Award for Integration & Prevention 2014“ – einer Auszeichnung für herausragende Soziale Innovationen. Alles richtig gemacht!  Vielen Dank für Ihre Idee, herzlichen Glückwunsch zu Ihrem Erfolg und riesigen Respekt vor Ihrem Engagement!

Und für alle, die Kontakt aufnehmen wollen: Hier geht es zur Website von Dr. med. Frank Hoffmann.

 

Mit dem Autor des Artikels Dr. Markus Reimer können Sie hier Kontakt aufnehmen.