Das Irrenhaus der Innovationen
„Wir wissen: Innovationen können gefährlich sein. Und manche innovative Gedanken sind von vornherein nicht nur gefährlich, sondern vor allem abartig und scheinen direkt aus dem Irrenhaus zu kommen! „
Bill Gates, der Meister der Innovation – und der Prophet
Vor zwanzig Jahren erschien Bill Gates´ Buch „Der Weg nach vorn“. Der Titel war Programm und war die tatsächlich vorweggenommene, weil sich so einstellende Realität. Es ging um den Weg in die Informationsgesellschaft. Mittlerweile hat uns nun die Informationsgesellschaft aufgefressen, aufgefacebookt und aufgegoogelt. Wir bestehen geradezu nur noch aus Information – für fast jeden, der daran Interesse zeigt, wenn nicht unmittelbar, so dennoch mittelbar zugänglich. Wir sind vorne angekommen. Aber ist es toll, vorne angekommen zu sein? Nicht zwingend! Bill Gates´ „Vorne“ zeigt nach spätestens 20 Jahren, dass „vorne“ nicht unbedingt auch „erstrebenswert“ sein muss. „Vorne“ ist zunächst einmal neutral: vielleicht toll, vielleicht aber auch gar nicht toll. Das zeigt auch die Geschichte.
Zerfetz-Innovationen, keine Tötungs-Innovationen
Es ist stets ein grundlegendes Problem bei Innovationen: Woher soll man wissen, wohin erfolgreiche Ideen führen? Woher soll man wissen, welche Seitenwege erfolgreiche Ideen plötzlich nehmen? Wege, die der Erfinder selbst nie genommen hätte. Ja, von denen er gar nicht wusste, dass es sie gibt? Wir wissen: Innovationen können gefährlich sein. Und manche innovative Gedanken sind von vornherein nicht nur gefährlich, sondern vor allem abartig: Zum Beispiel Landminen, die wie Spielzeug getarnt sind, damit Kinder sie aufheben … und sie genau diese dann wenigstens teilweise zerfetzen. Minen, die so berechnet sind, dass sie maximal die Unterschenkel zerfetzen – um den Be-/Getroffenen noch am Leben zu halten, so dass andere sich um ihn kümmern müssen. Was genau geht in menschlichen Gehirnen vor, die sich über derartige Erfindungen Gedanken machen? Was ist die Ursache dafür, sich überhaupt Gedanken machen zu wollen über das massenhafte Zerfetzen von Kinderbeinen oder Kinderarmen?
Innovationen, geboren aus Denkverboten
Nun hat uns diese Woche wenigstens zu einem anderen abartigen Thema eine gute Nachricht erreicht: Es ist geradezu applausbedürftig, dass nun die Erfindung des Kükenschredderns bis 2017 aufhören soll. Soll! Das ist die letzte Woche verkündete Absicht des Bundeslandwirtschaftsministers Schmidt. 45 Millionen männliche Küken landen jährlich in Schreddern oder Vergasungsanlagen, weil sie keine Eier legen können und damit für die Eierindustrie unbrauchbar sind. Was ist die Ursache, sich über solche Vorgehensweisen Gedanken machen zu wollen?
Natürlich gibt es für alle diese menschlichen Verhaltensweisen Ursachen und sie liegen zumeist auch an und in uns selbst; aber eben nur mittelbar. Sehr mittelbar. Natürlich sehr weit entfernt von unserem Alltag. Und darum kommt es zu Erfindungen, neuartigen Prozessen, zu Innovationen, die es eigentlich so nie hätte geben dürfen. Es gibt sie aber. Die Erfindungen sind da. Mit all ihren dramatischen Auswirkungen für Menschen – und auch Küken. Was also tun, damit derartige Innovationen nicht mehr auf Hiroshima herabfallen?
Dürrenmatt, Innovationen und das Irrenhaus
Der Innovator und Wissenschaftler Dr. Möbius in Friedrich Dürrenmatts dramatischer Komödie „Die Physiker“ zeigt den für sich einzigen Weg auf: „Nur im Irrenhaus dürfen wir noch frei denken. In der Freiheit sind unsere Gedanken Sprengstoff!“
Was aber, wenn wir eines Tages, vielleicht auch schon heute feststellen müssen, dass unsere Welt sich mittlerweile in ein Irrenhaus verwandelt hat? Der Weg nach vorne geradewegs durch die Eingangstür des Irrenhauses …
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Dr. phil. Markus Reimer ist Keynote-Speaker und Lead Auditor für Managementsysteme.