Fakten? Fakt ist was?

„Andernfalls lässt vielleicht ein einziger Tweet mit gerade mal 140 Zeichen diese unsere Welt explodieren. Fakt hin, Fakt her. Das können nur Verrückte wollen. Davon gibt es auch einige auf dieser Welt, auch das haben wir 2016 genügend erleben müssen. Zum Teil ist unsere Welt aus den Fakten-Fugen geraten.“

 

Bügelbretter, Kaffeeservice, der Tod von George Michael, das Wörtchen „seid“, die Stadt Gent und Atomkriege – es gibt einen einzigen Zusammenhang, der tragischer kaum sein könnte und über den man unbedingt Bescheid wissen sollte.

Apropos Bescheid wissen: Wissen Sie, dass Charlie Chaplin einmal an einem Charlie-Chaplin-Imitationswettbewerb teilgenommen hat? Und wissen Sie, was damals passiert ist, als Charlie Chaplin an diesem Charlie-Chaplin-Imitationswettbewerb teilgenommen hat?

Doch lassen Sie uns mit einem anderen Künstler beginnen: George Michael.

 

George Michaels Last Christmas – Lesen, Zweifeln, Wissen

In der Nacht vom 25. Dezember auf den 26. Dezember 2016 erfahre ich kurz vor dem Schlafengehen über facebook, dass George Michael gestorben ist … sein soll … denn ich lese das und weiß erstmal nicht, ob ich es glauben soll oder lieber nicht. „Last Christmas“, der Megahit von Michael läuft dieses wie jedes Jahr gefühlt alle fünf Minuten über jeden Äther dieser Welt und just an diesem Christmas soll ausgerechnet er gestorben sein? Ich zweifle doch sehr. Das wäre doch schon ein wenig sehr viel Ironie!

Doch immer mehr Agenturen und Presseorgane melden es. Es wird so für mich langsam aber sicher zur Tatsache, zum Fakt. Wie sich also herausstellte war es zwar Ironie, aber es war die Ironie des Schicksals – und diese kennt nun mal keine Gnade. Ich nehme also den Tod von George Michael zur Kenntnis und bin überzeugt davon, dass es nun auch so ist. Das nennt man nun Wissen. Und alle Welt postet jetzt die naheliegende geflügelte Formulierung – ich auch: und zwar in der Überschrift dieses Absatzes. Besser wird es dadurch nicht …

 

Seid wachsam! Jenseits vom Fakt

Unsere Zweifel wären an vielen Stellen berechtigt! Aber so verbreitet sind Zweifel gar nicht. Leider. Ein sehr eigenartiger Fall hat sich in diesem Jahr 2016 zugetragen.

Das Online-Satiremagazin „Der Postillion“ behauptete in einer Satire-Pressemeldung einer Satire-Presseagentur, die es selbstverständlich gar nicht gibt, zum „Leider-nicht-Satire-20-Jahr-Bestand“ der Neuen Deutschen Rechtschreibung, dass in nächster Zukunft aus den Wörtchen „seid“ und „seit“ zukünftig „seidt“ werden würde. Zu viele Menschen würden dies immer wieder verwechseln – der Postillion nannte satirisch die fiktive Zahl von 70% – und mit dieser Maßnahme könnte man nun die Fehlerquelle beseitigen. Das klang so logisch, dass diese Satiremeldung von dem Radiosender MDR sogleich aus der Satire in die Realität geholt und als offizielle Pressemeldung verkündet wurde. Der Spott, der Hohn, das Gelächter war dem MDR sicher. Das war nicht wenig lustig! Das ist aber zugleich auch gar nicht lustig, denn wie kann es sein, dass eine Meldung einfach so ohne Gegenprüfung übernommen und gesendet wird.

 

Aus Fake … wird Fakt … wird Wissen

Falschinformation ist ja so neu nun auch wieder nicht. Aber früher, also um einiges früher, war es einfach noch sehr aufwändig, Falschinformationen in die Welt zu setzen. Man konnte das zwar an einem oder an mehreren Orten, aber dann blieb diese Information erst einmal in diesen Orten. Das sieht heute ganz anders aus, denn jeder auf dieser Welt hat Zugang zu dieser Welt – dass Ausnahmen die Regel bestätigen ist in diesem Zusammenhang leider ein internationales Fanal. Somit kann jeder auch Dinge in diese ganze Welt streuen, die schlicht und einfach jeglicher Grundlage entbehren.

Ein Beispiel: Die deutsche Fußballnationalmannschaft der Frauen soll 1989 zum Gewinn der Europameisterschaft ein Kaffeeservice erhalten haben; also jede Spielerin eines. So stand es vor einiger Zeit in Wikipedia, jenes Online-Lexikons, welches an Bedeutung den zentnerschweren Brockhaus vor längerer Zeit schon abgelöst hat. Ob man das gut finden muss, darf bezweifelt werden. Aber das ist nun mal so. Zurück zum Kaffeeservice: Nach einiger Zeit stand in Wikipedia geschrieben, dass die Spielerinnen zusätzlich zu dem Kaffeeservice auch noch ein Bügelbrett erhalten haben. Und es dauerte auch nicht lange, bis sich diese Prämien auch in den Medien entsprechend verbreitet hatten – als Fakt.

Doch was war wahr daran? Selbstverständlich ist das Bügelbrett Fake – es wurde aber als Fakt „verkauft“. Und selbstverständlich liest sich das Kaffeeservice als Fake – ist aber Fakt. In der Tat. Und das macht die Sache so schwierig: Die Fakten von den Fakes zu unterscheiden. (Lesen Sie zum Thema auch den Blog-Artikel „Johannisbeeren für alle“). Das macht die Anekdote um Charlie Chaplin auch so interessant: Charlie Chaplin selbst gewann bei dem Charlie-Chaplin-Imitations-Wettbewerb … den dritten Platz. Zwei Imitate – also irgendwie Fakes – waren laut Jury wohl besser als das Original – also besser als der Richtige, der faktische Charlie Chaplin. Der Fake hat den Fakt geschlagen.

Was sich darum etablieren sollte: Der Zweifel.

Den Zweifel kann man sich durchaus auch konstruktiv zunutze machen.

 

Aus Fakt … wird Fake … wird Prävention

Nicht ganz selbstverständlich, aber logisch nachzuvollziehen ist der wertschöpfende Einsatz von Fake-News. Auch dazu ein Beispiel: Die Stadt Gent nutzt Fakes gegen die Unsitte des wilden Plakatierens für Veranstaltungen. Viele Bemühungen der Stadt, wildes Plakatieren zu verbieten, schlugen fehl. Es wurde weiter wild plakatiert. So mussten Stadtangestellte immer wieder Plakate mühsam entfernen. Das bedeutete Zeit, Aufwand und nicht zuletzt eben auch Geld … bis dem Stadtrat die Idee mit den Fake-News kam. Denn nun wurden die Stadtangestellten losgeschickt mit bedruckten Aufklebern, auf denen stand: „Abgesagt“ oder „Achtung: Neuer Termin!“ oder „Verschoben“ oder „Achtung: Neuer Veranstaltungsort“ oder oder oder. Der Sinn der Plakate, nämlich auf Veranstaltungen hinzuweisen, wurde durch die angebrachten Aufkleber damit ausgehebelt: die Plakate wurden sinnlos. Und da die Stadt Gent das nun kontinuierlich macht, werden auch keine Plakate mehr verbreitet. Dem Fake sei Dank – die Plakate werden durch die Betrachter angezweifelt und damit sinnlos.

Es ist nicht von so großer Bedeutung, an den Bügelbrettern oder Konzertplakaten dieser Welt zu zweifeln; geht es aber um Atomkriege, dann haben wir die Ränder sämtlicher Bügelbretter und Plakate dieser Erde verlassen.

 

Aus Fake … wird Fakt … wird Krieg

Wie einfach, schnell und dramatisch sich Fake-News in der Realität auswirken können, konnte man ebenfalls in den Nachrichten über Weihnachten 2016 erfahren: Ein gefakter Artikel über eine drohende Äußerung des ehemaligen israelischen Verteidigungsministers gegenüber Pakistan bewegte wiederum den pakistanischen Verteidigungsminister dazu, Israel ganz offen mit einem Nuklearangriff zu drohen. Das hat ein bisschen was von Nenas 99 Luftballons – nur geht es hier um mehr als nur ein Liedchen. Die Lage hat sich glücklicher Weise innerhalb kürzester Zeit wieder beruhigt, denn die Fakten konnten schnell klargestellt werden. Doch was wäre, wenn nicht? Was wäre, wenn der Zweifel nicht aufkommt? Was, wenn Fakten Fakes nicht mehr überflügeln könnten? Desinformation, Falschinformation, Fake-News – welcher Begriff dafür auch immer verwendet werden soll: Die einzige Möglichkeit, dem entgegen zu wirken, ist der berechtigte und konstruktive Zweifel. Dieser fordert zugegeben ein gewisses Maß an Intelligenz, aber vor allem auch ein hohes Maß an Intuition und gesundem Menschenverstand.

Und wenn wir nun auf das Jahr 2016 zurückblicken, dann schienen Fakten oftmals ausgedient zu haben. 2016 scheint das Jahr zu sein, welches uns den Weg in postfaktische Zeiten weist.

Dazu darf es aber nie und nimmer kommen! Niemals!

Andernfalls lässt vielleicht ein einziger Tweet mit gerade mal 140 Zeichen diese unsere Welt explodieren. Das können nur Verrückte wollen. Davon gibt es auch einige auf dieser Welt, auch das haben wir 2016 genügend erleben müssen. Zum Teil ist unsere Welt aus den Fakten-Fugen geraten. Aber lassen Sie uns vielleicht gerade deswegen nur einen einzigen Vorsatz für 2017 vornehmen:

Lassen Sie uns zweifeln! Zumindest solange bis wir Fakten haben und diese verstehen. Lassen Sie uns das unsägliche Postfaktische überwinden!

In diesem Sinne wünsche ich uns allen ein gelingendes Jahr 2017!

 

Dr. Markus Reimer buchen zum Thema „(FR)Agil die Zukunft ist – Wie wir wissend weise handeln“

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