Nimm das, Corona! Das Stockdale-Paradoxon

Das Stockdale-Paradoxon: Das Einzige, das uns derzeit helfen kann in der Corona-Krise. Vieles andere ist Humbug – und zum Teil sogar gefährlich!   

 

Scharlatanerie: Die Retter in der Corona-Krise

Viele Experten geben jetzt Tipps, wie man Corona´s Turbulenzen überwinden kann: Jetzt, in Zukunft und überhaupt. Manch einer träumt schon von einer grandiosen Zukunft „dank“ Corona. Ich halte das tatsächlich alles für Humbug. Niemand, aber überhaupt niemand hat eine Pandemie dieser Art in einer vernetzt-globalisierten Welt bisher erlebt. Niemand kann auf Erfahrungen zurückgreifen, die uns einen Weg aus diesem weltumspannenden und branchenübergreifenden Dilemma herausweisen könnten. Vor allem auch deswegen, weil wir noch nicht einmal die Dauer der Pandemie kennen oder abschätzen können. Wir wissen aber, dass es genau davon auch erheblich abhängen wird, wie tief wir wirtschaftlich fallen werden. Und wenn wir „Wirtschaft“ gleichsetzen mit „Fressen“, dann wissen wir spätestens seit Brecht, dass erst nachher die Moral – die Grundlage für das gesellschaftliche Miteinander – zum Tragen kommt.

Insofern ist es geradezu hanebüchen, wenn heute Webinare, Bücher und sonstwas angeboten werden, die den oder zumindest einen Weg aus der Krise weisen. Wir sind derzeit Gefangene eines Virus, der sich überall verbreitet hat. Und wie es bei Gefangenen so ist: Wir können nicht einfach gehen. Das zeichnet Gefangenschaft aus. Leider. Und dass wir alle Gefangene sind, das macht die Sache keinen Deut besser.

 

Zamperini und Stockdale: Gefangene ohne Illusion

Der Management-Autor Jim Collins erkannte beim Studieren der Erlebnisse von James Stockdale in Gefangenschaft eine paradoxe Kraftquelle … und definierte das Stockdale-Paradoxon. Doch zuvor zwei wahre Soldatengeschichten, die ich bereits vor fünf Jahren in einem Blog-Artikel verarbeitet habe. Dieser Artikel ist deswegen eine Art „Aktualisierung“.

Sowohl Louis Zamperini, als auch James Stockdale waren Soldaten und gerieten in Kriegsgefangenschaft. Zamperini war, bevor der zweite Weltkrieg ausbrach, Leichtathlet und nahm sogar an den Olympischen Spielen 1936 teil. Im Krieg geriet er dann in Gefangenschaft, die zwei lange Jahre andauern sollte – bis zum Ende des Krieges. James Stockdale geriet im Vietnamkrieg in Gefangenschaft und schaffte es, dort über sieben Jahre zu überleben. Beide waren fürchterlichen Strapazen, Demütigungen und Folterungen ausgesetzt. Beide haben aus- und durchgehalten und kehrten als Kriegshelden in ihr Heimatland zurück. Doch wie konnten sie diese lange Zeit aushalten und überleben?

 

Der Weg zum Stockdale-Paradoxon

Der Wille und die Kraft zu diesem Aus- und Durchhalten mussten sich irgendwoher speisen. Der Managementvordenker Jim Collins erkannte beim Studieren der Erlebnisse von James Stockdale in Gefangenschaft eine paradoxe Kraftquelle … und nannte sie fortan das Stockdale-Paradoxon. Doch was ist damit gemeint? Es waren Visionen, aber ohne Illusionen.

Grundsätzlich ist es ein guter, ein bekannter und ein vielpropagierter Weg, sich Ziele zu setzen und darauf Hoffnungen zu gründen; das ist ein meist auch erfolgreicher Weg. Das Problem dabei ist nur, dass man in Gefangenschaft nur sehr wenig bis nichts selbst beisteuern kann, um der Situation zu entkommen. So kann in Kriegsgefangenschaft der Gedanke „Egal wie es kommt: An Weihnachten bin ich wieder zuhause!“ Hoffnung, Kraft und Trost spenden. Aber eben nur: „Kann“.

Was passiert aber mit einem menschlichen Geist, wenn die Hoffnung sich als haltlos herausstellt: Man ist auch dieses Weihnachten nicht zu Hause und auch nach dem nächsten Ziel – zum Beispiel Ostern – ist man nicht zu Hause. Der Grat zwischen Hoffnung und Hoffnungslosigkeit aus Erfahrung führt direkt zur Verzweiflung. Der Optimismus und der Glaube daran, dass alles gut wird, gehen verloren. Ziel um Ziel wird nicht erreicht. Das bedeutet irgendwann: Aufgabe. Es ist aussichtslos. Der menschliche Geist gibt auf.

Der andere Weg wäre, sich einfach gar keine Ziele zu setzen. Mit anderen Worten: Fatalismus. Alles sinnlos. Wir sind verloren. Dass dieser Weg aber auch zu gar nichts führt, ist logisch und bekannt. Er muss nicht weiter ausgeführt werden. Dieser Weg ist noch nicht einmal aussichtslos, denn es ist noch nicht einmal ein Weg.

 

Das Stockdale-Paradoxon

Gibt es dann noch einen dritten Weg? Ja, und das ist der von Zamperini oder eben der von Stockdale. Und aus meiner Sicht ist das auch der einzige Weg, diese unsere derzeitige Corona-Situation durchzustehen.

Dieser Weg-Gedanke wird von Collins als das „Stockdale-Paradoxon“ bezeichnet und von ihm in die Management- und Führungslehre übertragen. Zusammenfassend lässt sich dieser Gedanke so beschreiben: Sei vom guten Ende überzeugt! Akzeptiere aber jetzt die Gegenwart, auch wenn sie noch so schlimm ist! Setze dir keine illusorischen Ziele, aber glaube an sie! Das heißt also, dass der Überlebens-, bzw. Erfolgsgedanke viel eher grundsätzlich zu denken ist – also ohne konkrete Ziele mit vielzitierter Deadline. Es wird gut werden, aber momentan ist es noch nicht gut und es ist auch nicht klar, wann es gut werden wird. Aber insgesamt wird es gut.

Das liest sich noch nicht mal einfach.

Es zu akzeptieren und danach zu leben, ist noch weit weniger einfach. Fast unmöglich. Und deswegen auch zurecht ein Paradoxon. Angelina Jolie hat die Geschichte von Zamperini 2015 ins Kino gebracht: Unbroken: Die Geschichte von Zamperini, der überlebt hat und sage und schreibe 92 Jahre alt wurde. Stockdale wurde fast 82 Jahre alt.

So mancher Existenzgründer, Unternehmer oder Innovator kann vom Stockdale-Paradoxon Lieder aus der Wirtschaftspraxis singen: Setze dir keine illusorischen Ziele, aber glaube an sie! Und wenn du deine Ziele erreichst, dann heißt es wiederum nicht, dass sie auch Erfolg bedeuten. Es ist kompliziert (siehe hierzu Blog-Artikel „Fast fliegende Züge“)

Und wenn man es dann genauer betrachtet: Auch Coca Cola hat angeblich in seinem ersten Geschäftsjahr gerade mal 25 Flaschen verkauft. Seit einiger Zeit sind es mehr. Gehen wir davon aus, dass auch wir zu großen Teilen wieder in „Geschäftsjahr Eins“ denken müssen. Vielleicht mit 26 Flaschen, vielleicht mit weniger. Und dann wird es an uns sein, ohne Illusionen in unsere alte Welt zurückzukehren, die sich wahrscheinlich mit uns verändert haben wird. Wie? Wir wissen es nicht. Aber es wird gut! Davon bin ich überzeugt.

 

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Dr. phil. Markus Reimer ist Keynote-Speaker und Lead Auditor für Managementsysteme.