Gegröle der Löwen

„Es droht die Fake-Falle: Trotz des innovativen Formats, der leidenschaftlichen Erfinder und der grundsätzlich fairen Löwen-Unternehmer läuft die Show Gefahr, unglaubwürdig zu werden. Durch die omnipräsente Social-Media-Begleitung der Show, werden Umstände bekannt, die das Interesse der Zuschauer erheblich reduzieren können. Und auch Carsten Maschmeyers wunderschöne Frau kann dann nur noch wenig retten!“

Tränen fließen – vor Freude, vor Verzweiflung. Ärger entsteht. Trotzhaltungen werden offenbar. Es wird abgeklatscht, umarmt, gelacht. Es ist die reinste Achterbahn: Der Fernsehsender Vox setzt auf Innovationen pur, fährt damit richtig gut und das nun schon seit über zwei Jahren!

Blaues Bier, ein Anti-Schnarch-Rucksack, eine Fee, die Abflüsse in wohlriechende Duftoasen verwandelt und BHs, verpackt in eine surprising VIB-Box (ja, VIB ist richtig geschrieben!). Vier richtig gute Ideen. Vier Ideen, die bereits einen hohen Umsetzungsgrad dar- und belegen und damit definitiv auch als Produkt- oder eben auch als Dienstleistungsinnovationen bezeichnet werden können.

Vier kleine beispielhafte Unternehmen, die einer breiten Öffentlichkeit vorgestellt wurden in der Investorsuchshow „Die Höhle der Löwen“, kurz: #dhdl. In Österreich gibt es ein nahezu identisches Format mit dem Titel „2 Minuten 2 Millionen“. Beide Shows orientieren sich an dem BBC-Format „Dragon´s Den“.

In der deutschen Höhle der Löwen sitzen fünf erfolgreiche investitionswillige Millionenumsatz-Unternehmer, die zum einen sich ausgiebig selbstdarstellen und zum anderen sich auch relativ klar gegenseitig abgrenzen: Wer kann was warum wie gut und warum das niemand besser kann. Herr Schweizer hat einen Namen, den man überall kennt. Herr Thelen kann Computer und Internet. Frau Williams kann TV-Shopping. Herr Dümmel kann Handel. Herr Maschmeyer kann seine Frau als wunderschön bezeichnen.

Doch hinter dem Erfolg der Sendung steckt zugegebener Maßen viel mehr.

 

Innovationen in der Fernsehlandschaft

Echte Innovationen im Fernsehgeschäft gibt es nur noch selten. Ein Tatort ohne klares Drehbuch oder eine Sing-Castingshow, in der die Jury die Sänger nicht sieht, gehören zu den außergewöhnlichen Ideen der Fernsehlandschaft. Dagegen immer wieder X-Promis in einem Plastikdschungel „auszusetzen“,  Y-Promis in einem Container wegzusperren oder Z-Promis nackt zu einer Insel schwimmen zu lassen … oder eine initiierte dreiundvierzigste Talkshow mit wild durcheinander art- und gestikulierenden  R-, S- oder T-Experten unter der Leitung stetig kapitulierender Moderatoren … oder jede noch weitere konsequent spaßentladene Gameshow mit Johannes B. Kerner  als Innovationen bezeichnen zu wollen: Es wäre schlichtweg unangebracht.

Jedoch: Dass zum Beispiel BigBrother – vor vielen Jahren (!!) – durchaus eine sogar sehr erfolgreiche Fernseh-Innovation war, das bleibt unbestritten; moralische Komponenten bleiben dabei außen vor (Zum Thema Innovationen und Moral: Das Irrenhaus der Innovationen).

Aber zurück zur Höhle.

 

#dhdl – 1: Die Löwen-Höhle als Fernseh-Innovation

Die Höhle der Löwen vereint mehrere Merkmale, die in ihrem Zusammenspiel den Erfolg ausmachen. Viereinhalb davon möchte ich konkret benennen, da sie meiner Ansicht nach sehr entscheidend für den Erfolg der eigentlich kleinen Show sind.

1.     Dort sitzen erfolgreiche Menschen, die zu großen Teilen auch in der Öffentlichkeit stehen: Bekanntheit, also Promistatus und Erfolg machen sexy. Das sind die Löwen, die einigermaßen erhaben gut gekleidet in ihren unterschiedlichen Sesseln sitzen, um sich von den Ideen der Erfinder überzeugen zu lassen. Ein Löwe behauptet dabei, dass seine Frau wunderschön sei. Sichtbarer Erfolg eben. Check.

2.     Dann stehen da „Menschen wie du und ich“ vor den Sesseln, die eine Idee haben und diese Idee weiter auf die Erfolgsspur bringen möchten. Wir als Zuschauer verfolgen deren Kampf, die Löwen dazu zu bringen, sie nicht nur nicht zu fressen, sondern dazu zu bringen, ein Stück von deren großen Kuchen für den eigenen kleinen Kuchen abzugeben. Dieser Kampf ist spannend. Von Daumendrücken über Mitleid bis hin zur Freude oder eben auch Schadenfreude. Jeder Moment des Pitches ist Energie. Es sind und es geht auch um jede Menge Emotionen: Hier wird nicht zuletzt auch über Leidenschaft gepitcht und entschieden. In solchen Momenten wird dem Neu-Löwen Carsten Maschmeyer klar, dass er mit einer wunderschönen Frau zusammen ist – und er bekennt dies öffentlich. Es gibt kein Halten. Das Spektrum ist ausgeschöpft. Emotionen und noch mehr Emotionen. Check!

3.     Dabei sind die Ideen oder gar schon Innovationen der Erfinder und Unternehmer eigentlich die Stars der Show mit den Löwen: Ohne Idee, ohne Innovation, ohne Geschäftsmodell würden diese Menschen ja erst gar nicht vor den Löwensesseln stehen. Und in der Tat kann man sich als Zuschauer dem nicht erwehren: Man findet automatisch ein Produkt gut oder nicht gut. Während der Show wird bereits nach dem Produkt, der Dienstleistung oder nach dem Unternehmen gegoogelt. Selbstverständlich geht es auch genau darum: Marketing und Werbung zu betreiben für das blaue Bier oder den Antischnarch-Rucksack. Unbändiges Interesse wird geweckt, ein Bedarf wird festgestellt; das möchte man doch mal probieren. Damit aber diese neuen Produkte nicht zu sehr in den Vordergrund rücken gegenüber Frau V.F. Maschmeyer, wirft deren Mann kurz ein,  dass diese doch wunderschön sei. Ansonsten aber: Neues, Erfindungen, Innovationen. Check!

4.     Das Showkonzept ist sehr gut mit einem Spannungsbogen versehen: Die Löwen sind zu Beginn alle an der Idee des Unternehmers interessiert. Im Laufe des Pitches verfinstert sich das Gesicht des einen Löwen und erhellt sich das Gesicht des anderen Löwen – und dann wieder umgekehrt. Der Gründer wird dann im Laufe seines Auftrittes seine Vorstellung einer Zusammenarbeit äußern. Und dann kommt es darauf an: Werden die Löwen auf das Angebot der Gründer eingehen? Ein kleiner Millionenbetrag für einen großen 5%-Anteil des Unternehmens? Die Spannung steigt, dramatische Hintergrundmusik, entsetzte oder süffisant lächelnde Löwen, erstaunte Zuschauer, ob der weiteren Reaktion der Löwen gespannt wartend … das Spiel hat begonnen. Es werden Fragen zum Produkt gestellt; das ist abwechslungsreich; weil die Produkte sich ändern, ändern sich gezwungener Maßen auch die Fragen. Und dann sind da noch die stetig wiederkehrenden Standardfragen nach Zahlen und Zielen des Unternehmers. Dann geht es in der Regel Schlag auf Schlag: Ein Löwe nach dem anderen gibt seine Entscheidung bekannt – mit Begründung: „Ich bin raus!“ Das heißt nichts anderes, als dass die Idee mit dem dahinter stehenden Geschäftsmodell den potenziellen Investor nicht überzeugt hat. Das ist die in Kurzform präsentierte Geschichte so mancher Idee: Sie überzeugt (zunächst) nicht und hat noch einen langen Weg vor sich bis hin zur Innovation. So steigt ein Löwe nach dem anderen mit den Worten „ich bin raus“ aus der aktuellen dargebotenen Chance aus. Es bleiben immer weniger Löwen. Bis hin zum letzten Löwen. Wird er auch aussteigen? Oder investieren? Dieser macht vielleicht noch ein Gegenangebot – wie auch immer: Es kommt, wenn es passt, zum Deal. Die Idee hat überzeugt – samt Gründer-Erfinder! Es gibt, neben Carsten Maschmeyer, der, wie er behauptet, eine wunderschöne Frau an seiner Seite hat, einen weiteren Gewinner! Der Pitch wurde zum Patch und alle freuen sich – auch die ausgestiegenen Löwen. Und auch die Zuschauer sind zufrieden. Es gibt klare Gewinner im Spiel, aber vor allem in der Realität. Aber es gibt natürlich auch Verlierer. Die Welt ist geordnet. Check!

5.     … aber eigentlich eher nur 4,5tens: Dass immer ein intensives Interview vor dem Höhlengang („Sind Sie aufgeregt?“) und nach dem Höhlengang („Wie wars?) mit einem Moderator mit sehr großer Brille ansteht: Das sei hiermit ebenso erwähnt, wie die Stimme aus dem Hintergrund, die die Show kommentiert. Beides ist irrelevant, aber beides rechtfertigt das Tragen des Antischnarch-Rucksacks auf dem Sofa.

 

#dhdl- 2: Die Löwen-Höhle als Plattform für Innovationen

Das Fundament der Show sind die Ideen und die Innovationen der unternehmerischen Erfinder. Die Erfinder  präsentieren mit großer Leidenschaft und Begeisterung und voller Überzeugung ihr Produkt, ihre Dienstleistung, ihr Geschäftsmodell. Und damit machen sie etwas Wichtiges vor und darum ist diese Show aus meiner Sicht auch eine sehr wichtige Show: Sie zeigt den Erfindergeist unserer Spezies. Sie zeigt vor allem, dass und wie Ideen auf die Straße gebracht werden können! Sie zeigt auch, dass es immer noch massenweise Möglichkeiten gibt, mit Innovationen in immer wieder neue, aber auch in schon lange bestehende Märkte einzudringen. Man sieht und lernt auch, dass viel mehr dazugehört, als nur eine Idee zu haben; es geht vor allem auch darum Ideen mit Engagement umzusetzen. Die Show zeigt damit auch Erfolgsgeschichten, die andere zu mehr Unternehmertum bewegen können. Sie zeigt, dass man etwas probieren kann und soll – zum Beispiel einen Löwen an Bord zu bekommen – und dass man auch dann weitermachen soll und muss, wenn der Plan nicht klappt – wenn zum Beispiel kein Löwe an Bord kommen will. Dabei bleibt festzuhalten, dass die deutschen Löwen allesamt faire Mitspieler der Show sind.

Die einzelnen Runden zeigen aber auch, dass die letztendliche Entscheidung bei den erfinderischen Unternehmern selbst liegt: Wenn das Angebot der Löwen nicht passt, dann lehnen sie es ab und sie machen alleine weiter. Sie machen dort alleine weiter, wo sie auch schon ohne Löwen – und auch ohne Maschmeyers wunderschöne Frau – hingekommen sind. So etwas in der Art antworten die Innovatoren dann dem Moderator mit der großen Brille im Vorraum der Höhle auf dessen Frage: Wie wars?

Die Höhle der Löwen macht somit mittelbar auch für die Zuschauer ein großes Fass von Mut und Möglichkeiten auf. Und dieses Fass ist nichts anderes als der Eingang zu einem sprudelnden Brunnen für Ideen und zukünftige Innovationen. Es ist Zeit für Aktivität und damit es auch Zeit, den Antischnarch-Rucksack abzuschnallen! Spannung, Emotion -geschlafen wird später!

 

#dhdl- 3: Die Löwen-Höhle in der Fake-Falle

Trotz des innovativen Formats, der leidenschaftlichen Erfinder und der manchmal harten, aber stets fairen Löwen-Unternehmer läuft die Show Gefahr, unglaubwürdig zu werden. Durch die omnipräsente Social-Media-Begleitung der Show, werden Umstände bekannt, die das Interesse erheblich reduzieren können. Denn wie man lesen kann, kommen die meisten in der Höhle getroffenen Vereinbarungen später außerhalb der Höhle gar nicht zustande. Das ist für den Zuschauer eine absurde Situation.

Grundsätzlich ist es erstmal nicht verwerflich, dass beabsichtigte Deals doch nicht zustande kommen. Das ist auch im Wirtschaftsleben außerhalb von Löwenhöhlen recht normal. Man kann nie wissen, wie sich etwas letztlich entwickelt.

Aber: Das Problem liegt darin, dass die Löwen-Shows mit einer mehrmonatigen Verzögerung ausgestrahlt werden. Das heißt: Der Zuschauer verfolgt im Fernsehen jetzt gerade einen zustande kommenden Deal mit den VIB-Box-Unternehmerinnen. Alle freuen sich jetzt gerade und der Moderator mit der großen Brille fragt jetzt gerade völlig euphorisiert: „Wie wars?“ …

… zeitgleich wird unter anderem in Facebook inoffiziell von anderer Seite mitgeteilt, dass genau dieser Deal in Wirklichkeit schon vor vielen Monaten geplatzt ist. Und das ist schwierig. Die Höhle der Löwen hat vor allem deswegen Erfolg, weil es um reale Erfinder geht, mit realen innovativen Produkten die man real kaufen kann. Wenn nun aber in der Show im Herbst 2016 Deals gezeigt und gefeiert werden, die bereits im Frühjahr 2016 geplatzt sind, dann leidet darunter die Authentizität und damit die Glaubwürdigkeit der gesamten Show. Aus Realität wird irgendwie Fake – auch wenn zum Zeitpunkt der Aufzeichnung noch alles in Ordnung war.

Die Lösung kann also nur sein, entweder die Show viel zeitnäher zur Aufzeichnung auszustrahlen, um dann Sender, Erfinder, Löwen, Zuschauer, kurz: alle Beteiligten in einem Boot und damit auf einer ähnlichen Zeitschiene zu haben. Und alle haben dann darauf zu warten, wie sich die in der Show getroffenen Deals entwickeln. Das wäre die eine Möglichkeit.

Die andere Möglichkeit wäre, Deals, die später dann doch nicht zustande kommen, aus der Show rauszunehmen. Diese werden einfach nicht gesendet, um die Glaubwürdigkeit der getroffenen Show-Deals mit den Löwen wieder herzustellen und/oder zu erhalten. Andernfalls kann man von Zuschauern weder Emotionen, noch Spannung erwarten, da alles nur noch Illusion, also im wörtlichen Sinne Show ist. Es wäre uninteressant und langweilig. Es wäre mehr als schade um dieses Format.

Dass Herr Maschmeyer seine Frau permanent wunderschön findet, ist vielleicht eine geradezu humorige Konstante – aber auf lange Sicht kann diese Konstante weder die Glaubwürdigkeit in der Löwenhöhle aufrechterhalten, noch die Einsatznotwendigkeit  des Antischnarch-Rucksacks verhindern.