Rest der Reste

Ich versuche die Reste einzudämmen, ihnen Herr zu werden. Meine Küche wird ein Komposthaufen, von dem ich versuche die obersten Schichten abzutragen um weiterzukochen und nichts zu entsorgen. 

 

Das Problem: Reste über Reste

Tonnenweise werden in Deutschland noch brauchbare Lebensmittel entsorgt – und zwar nicht durch unsere Körper, sondern über Restmüll- oder Biotonnen. Das kann nicht sein, das ist verwerflich – das meint Deutschlands Verbraucherministerin Ilse Aigner.

Dafür, das darf man ihr als Argument entgegenhalten, werden wiederum durch unsere Körper tonnenweise Dinge entsorgt, denen man den Status „Lebensmittel“ kaum, dafür aber den von Sondermüll ohne Bedenken zusprechen kann. Dieses Gegenargument wurde bisher aber noch nicht angebracht und diese unsere Verbraucherleistung wurde bisher noch nicht gewürdigt. Das ist auch verwerflich – das meine ich.

 

Die Idee: Reste über Reste

Nun hat das Verbraucherministerium mit einer Offensive gegen die Entsorgung von noch brauchbaren Lebensmitteln reagiert und Rezepte auf seiner Homepage eingestellt, welche Wege aufzeigen, noch vorhandene Lebensmittel zu verarbeiten. Das ist prinzipiell eine richtig gute Idee. Sie ist dann gut, wenn man davon ausgeht, dass der Kühlschrank eine Direktverbindung zur Website des Verbraucherministeriums hat. In Zeiten des digitalen Wandels ist dies kein Problem. Dann kann man dort sofort nachsehen, was man mit dem Vierteltütchen Kleie noch alles so machen könnte.

Auf der Website finden sich dann appetitanregende Rezepte, die als Ausgangspunkt alte Kleie haben. Und von diesem Ausgangspunkt aus geht es dann über fünfzehn weitere Zutaten direkt zu einem fantastischen Gericht. Soweit so gut. Die Frage, wie Kleie überhaupt in einen Haushalt geraten kann und warum davon dann auch nur noch Reste vorhanden sind, soll ausgeklammert werden. Und auch die Tatsache, dass dabei zehn notwendige Zutaten sich gerade nicht im Haushalt befinden, soll vernachlässigt werden. Diese kann man sich ja im Supermarkt des Vertrauens  direkt dazukaufen.

 

Das neue Problem: Reste über noch mehr Reste

Dass dann aus diesen fünfzehn Zutaten sich wiederum, sagen wir: zehn Restmengen ergeben, ist wahrscheinlich gewollt. Denn so kann man sofort auf der Verbraucherministeriumsseite recherchieren, mit möglichst vielen Klicks, welche weiteren 150 Zutaten ich nun brauche, um auch aus diesen zehn Resten wieder etwas Verwertbares zu kreieren. Ich bin verwirrt. Nun habe ich noch zehn weitere Gerichte zu kochen und zu essen, alles möglichst schnell, denn es handelt sich ja um ablaufende, verwelkende Reste mit Schimmelpotenzial – aber die Zeit spielt gegen mich.

Ich hole mir diese 150 Zutaten, um meine immer welker werdenden Reste einem guten Zweck zuzuführen – mir! Aber es bleiben – es war zu erwarten – noch mehr Reste! Auch dazu suche ich mir aus Ilses Fundus Rezepte. Ich brauche dazu nur weitere 450 Zutaten, um aus den 45 Resten was Schönes zu kochen, so dass ich nichts entsorgen muss. Dieser Gedanke motiviert und beflügelt mich. Jetzt muss ich mich um einen zweiten Kühlschrank kümmern. Die Dauerleitung zur Verbraucherministeriumswebsite steht.

Ich brauche neue und mehr Informationen über neue und mehr Rezepte zu immer mehr werdenden neuen schnell alt werdenden Resten. Ich koche, kaufe ein, koche, kaufe ein. Mittlerweile bin ich misstrauisch gegenüber den Restebergen, die sich bei mir mittlerweile türmen. Ich downloade und drucke Rezepte aus. Von den Resten der Reste werde ich immer dicker, meine Küche wird ein Komposthaufen, von dem ich versuche die obersten Schichten abzutragen um weiterzukochen, nichts weiter zu entsorgen: Und dann koche ich weiter, entsorge nichts und koche schon wieder, … nun ich bin zum adipösen Bio-Messie mutiert, der zwar mit drei Kompostkühlschränken lebt – aber den Kampf gegen die Reste verloren hat.

Tut mir leid, Ilse! Aber ich habe mich wenigstens bemüht.

 

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