Interesse im Intercity

„Mitarbeiter, die kein Interesse haben an dem, was sie tun, werden keine Ideen dazu einbringen, wie das, was sie tun, noch besser getan werden könnte. Warum auch? Interesse ist vor allem eines: eine Kettenreaktion. Das heißt also: Wenn jemand an dem, was man macht, Interesse zeigt, dann ist es fast schon eine logische Folge, dass genau das weiter – mit eigenem Interesse – betrieben wird.“

 

„Möchten Sie gerne einen Kaffee?“

„Nein, danke!“

Wie Sie einen Kaffee verkaufen können, wenn Sie wollen

Als Redner zu den Themen Innovation, Wissen und Qualität bin ich viel unterwegs. Und da ich meinen Vorsatz für 2016, nämlich vor allem umweltschonend unterwegs sein zu wollen,  tatsächlich konsequent verfolgt und bis heute durchgehalten habe, sitze ich nun beim Unterwegssein sehr oft im ICE quer durch Deutschland und Österreich.

An diesem Tag war ich unterwegs nach Berlin. Ich saß im ICE.

So kam es, dass ein Bediensteter der Deutschen Bahn, also ein Zugbegleiter, mich eben an jenem Tag fragte:
„Möchten Sie gerne einen Kaffee?“

Er stand mit einem Tablett voller voller Kaffeetassen vor mir und lächelte mich schelmisch an.

Ich sah von meinem Laptop auf, in den ich bis eben noch wild was auch immer eingetippt hatte, ich überlegte kurz und antwortete dann:
„Nein, danke!“ Leicht, aber so dennoch wahrnehmbar schüttelte ich dazu auch noch meinen Kopf. Damit war das Verkaufsgespräch eigentlich auch schon wieder abgeschlossen.

Eigentlich.

Nicht so aber bei dem Kaffee-Mann.

Er sah mich an, zog die Augenbrauen nach oben, lächelte und fragte ganz einfach:
„Nein? Warum nicht?“

Ich war verdutzt.

„Wie jetzt, warum nicht?“

Ich war nicht nur verblüfft, sondern völlig verblüfft, denn das Gespräch, das ich für mich – aus meiner bisherigen Kaffee-Kunden-Erfahrung  – als abgeschlossen betrachtet hatte, schien eine Fortsetzung nehmen zu wollen.

„Na, warum möchten Sie denn keinen leckeren Kaffee?“

„Brauche ich denn eine Begründung?“ Ich musste schmunzeln.

„Das wäre schon gut!“

„Mir fällt aber keine richtig gute ein!“

„Sehen Sie! Und jetzt?“

Ich musste lachen. Wir mussten beide lachen. Und ich entschloss mich:

„Okay, geben Sie mir einen so leckeren Kaffee!“

„Er wird Ihnen sicher sehr gut schmecken!“

Er servierte mir gekonnt den Kaffee, wünschte mir nochmals, dass ich ihn mir schmecken lassen sollte; ich bezahlte die 3,20 Euro und ich gab ihm auch noch Trinkgeld, denn ich fand es einfach lustig.

Der Zugbegleiter bedankte sich, lächelte mich nochmals freundlich an und ging zum nächsten Sitz, auf dem ein älterer Herr saß. Dieser hatte unser Gespräch mitbekommen.

Ich war gespannt …

 

Inter-Esse im Intercity

Natürlich hat mich diese eigentlich ja winzig kleine und vielleicht auch gar nicht so bedeutende ICE-Episode bewegt. Andernfalls würde ich nicht diesen Blog-Artikel schreiben. Was ist das Besondere?

Ich erlebe sehr viele Zugbegleiter und im Durchschnitt bin ich mit allen nicht nur zufrieden, sondern sehr zufrieden. Dass der eine oder andere Ausfall und selten auch ein Totalausfall dabei ist – wie soll es anders sein? Das ist überall so.

Aber hier macht ein Mitarbeiter etwas, was außerhalb der Reihe, außerhalb der Normalität des Zugbegleiters ist. Und die Frage stellt sich, warum er das wohl so macht. Es gibt viele Antwortmöglichkeiten und eine davon habe ich mir ausgesucht: Es ist das, in diesem Fall sein  Interesse!

Der Begriff des Interesses stammt aus dem Lateinischen und bedeutet so viel wie „Dazwischen-Sein“ oder eben „Mittendrin sein“. Insofern ist das Verständnis, das wir von dem Begriff „Inter-Esse“ haben, durchaus zutreffend: ob in positiver oder in negativer Ausprägung. In der Regel ist man immer nur dort mittendrin, wo man auch mittendrin sein will. Das wäre die positive Ausprägung.

Ist man dort mittendrin, wo man eigentlich keinesfalls drin sein möchte, dann muss man eben Interesse haben, um dort bestehen, oder auch das, wo man nicht sein will, verlassen zu können.

Bei meinem Zugbegleiter geht es – anzunehmen – um das positive Inter-Esse. Er ist mittendrin in seiner Aufgabe. Er hätte die Aufgabe Kaffee zu verkaufen auch damit lösen können, jeden Fahrgast einfach zu fragen: Wenn der Fahrgast Kaffee will, dann erhält er diesen. Wenn der Fahrgast keinen will, dann erhält er eben keinen. Fertig. Die Aufgabe ist erledigt. So, wie man es schon sehr oft erlebt hat.

Hier hat die Servicekraft aber echtes Interesse daran, ihren Kaffee zu verkaufen; und das mit der einfachen Methode, mit den Fahrgästen ins Gespräch zu kommen. Eine offene Warum-Frage, die sich ja nicht mit „Ja“ oder „Nein“ beantworten lässt, bietet sich für Gespräche immer an. Nur dann muss sie eben auch wiederum Interesse an der Antwort haben … Bei mir hat das wunderbar funktioniert. Ob das oft funktioniert? Wir werden es gleich an dem älteren Herrn eine Sitzreihe vor mir erleben.

 

Interesse als Treibstoff

Es ist anzunehmen, dass irgendjemand an der Kaffeeverkaufsleistung der DB-Servicekraft Interesse hat. Stellen Sie sich nur vor: Der Mann ist dreimal so erfolgreich im Verkauf wie der Durchschnitt. Aber es interessiert niemanden. Wie lange wird der Mitarbeiter noch Interesse daran haben, über dem Durchschnitt zu liegen. Es ist immer so: Wir Menschen vergleichen uns. Aber ein Vergleich hat immer ein dahinterliegendes Interesse als Motiv. Also: Wir vergleichen uns immer ausgerichtet auf die Frage: Wozu?

Interesse ist ein natürlicher Motivator. Wenn ich an etwas Interesse habe, dann fokussiere ich mich auf das, woran ich Interesse habe. Es ist daher nicht verwunderlich, dass zum Beispiel die Themen Innovation und Qualität in einem Unternehmen nur dann erfolgreich Bestand haben können, wenn daran Interesse besteht. Weder Innovation, noch Qualität passieren einfach nur zufällig. Mitarbeiter, die Interesse an ihrer Aufgabe, an ihrem Unternehmen, an ihren Kunden haben, werden immer pro-aktiver für Unternehmen denken, handeln und auch über- und weiterdenken, als dies Mitarbeiter tun, die kein Interesse haben. Die jährlich erscheinende Gallup-Studie belegt es Jahr für Jahr, dass unfassbar viele Mitarbeiter eben kein großartiges Interesse an ihrem Unternehmen haben; oftmals gar keines! Was man dann so treffend innerliche Kündigung nennt.

Mitarbeiter, die kein Interesse haben an dem, was sie tun, werden keine Ideen dazu einbringen, wie das, was sie tun, noch besser getan werden könnte. Sie werden kein Interesse daran haben, dass das, was der Kunde erhält, auch wirklich fehlerfrei ist. Uninteressiert daran, dass der sich beschwerende Kunde so behandelt wird, dass er wieder zufrieden ist. Uninteressiert daran, etwas völlig Neues, eine tolle Idee ins Unternehmen mit- und einzubringen. Uninteressiert daran, sich für das Unternehmen weiterzubilden. Kein Interesse, kein Interesse, kein Interesse …

 

Interesse ist vor allem eines: Interaktion

Wie jedoch kommt Interesse zustande?

Das ist viel einfacher, als man denkt; denn Interesse ist vor allem eines: eine Kettenreaktion. Das heißt also: Wenn jemand an dem, was man macht, Interesse zeigt, dann ist es fast schon eine logische Folge, dass genau das weiter – mit eigenem Interesse – betrieben wird.

Wenn in einem Unternehmen ein Innovationsmanagementsystem eingerichtet ist, in das aber keine Ideen eingebracht werden, was aber auch niemanden interessiert: Wie soll dieses System jemals belebt werden? Oder es werden Ideen eingebracht, aber es besteht kein Interesse daran, diese Ideen auszuwerten, zu diesen Rückmeldungen zu geben und diese umzusetzen: Es wird sich recht zügig der Zustand einstellen, in dem keine weiteren Ideen mehr gehandhabt werden müssen. Es werden keine mehr da sein und es werden auch keine mehr kommen. Wozu auch?

Somit haben wir eine wesentliche Basis für das Interesse der Mitarbeiter an ihrem Unternehmen: Es ist das Interesse der Führungskräfte; das der Unternehmer!

Zeigt die Führungskraft dieses nicht, so wirkt sich das dominomäßig aus: Wird der zweite oder dritte Stein des Interesses nicht mehr umgekippt, dann wird auch weiter nichts mehr passieren. Der Domino-Effekt hört auf zu funktionieren.

Warum geht es erst um den zweiten oder dritten Stein?

Weil Mitarbeiter eines Unternehmens zunächst immer Interesse haben. Es ist alles neu: Unternehmen, Aufgaben, Kollegen und Kolleginnen, Unternehmensphilosophie und –kultur. Mitarbeiter haben so zu Beginn ihrer Tätigkeit immer Interesse! Sie schmeißen sozusagen den ersten und meistens auch den zweiten Stein selbst um. Und dann?

Und dann merken sie vielleicht, dass es niemanden interessiert, dass sie Interesse haben…

Und der eigentlich schon laufende Prozess gerät ins Stocken; bis er dann ganz stockt.

Sie haben es sicher schon erlebt: Sie werden gefragt, wie es Ihnen geht. Aber Sie merken in derselben Sekunde, dass die Frage nur obligatorisch ist und Ihr Gegenüber zwar die Frage gestellt hat, aber an der Antwort keinerlei Interesse hat. Werden Sie Ihrem Gegenüber erzählen, wie es Ihnen wirklich geht? Oder sagen Sie einfach: gut.

Inter-Esse ist Inter-Aktion – und zwar ehrliche Interaktion! Keine „Wie geht’s“-Fragen, weil man das halt so macht. Aber auch kein Abarbeiten eines Fragenkatalogs für ein standardisiertes Mitarbeitergespräch. Das ist nur formal. Darum geht es nicht. Interesse ist ehrlich gemeinte Interaktion.

Und genau darüber muss sich jede Führungskraft im Klaren sein: Nicht nur Innovation und Qualität funktionieren nur dann, wenn sie an den Themen und damit auch an der Umsetzung derer über die Mitarbeiter ehrliches Interesse hat.

Die Alternative dazu ist: Druck ausüben. Drohen.

Das geht auch.

Aber meist nicht lange gut.

 

Wie Sie noch einen Kaffee verkaufen können

Der Zugbegleiter bedankte sich also bei mir, lächelte mich nochmals freundlich an und ging dann weiter zur nächsten Sitzreihe, wo ein älterer Herr saß. Dieser hatte unser Gespräch mitbekommen und ich war nun gespannt.

Der ältere Herr lachte den Kaffeemann an und bevor dieser überhaupt etwas sagen konnte, bestellte er geradezu entwaffnet:

„Ja, geben Sie mir auch einen Kaffee! Mir fällt auch keine Begründung ein!“