Heute schon gehört?

Aber sicher haben Sie heute schon gehört! Irgendwas! Oder doch nicht? Denn ungefähr 300.000 Menschen sind in Deutschland gehörlos oder fast taub. Das, was für die meisten Menschen also völlig alltäglich ist, ist für gehörlose Menschen eben nicht alltäglich. Und das beeinträchtigt viele Bereiche des Lebens. Denn wie können sich gehörlose Menschen zum Beispiel mit Zahnärzten verständigen oder die Zahnärzte mit ihnen? Die Konsequenz:  Gehörlose Menschen haben im Schnitt dreimal so viele Füllungen und fünfmal so viele Extraktionen wie hörende Patienten. Das ist unglaublich (und) tragisch!

Wenn gehörlose Menschen in Hamburg zum Beispiel bei Zahnärztin Marianela von Schuler Alarcon landen, dann ist das kein Problem. Die Verständigung findet einfach per Gebärdensprache statt, denn sie beherrscht diese Sprache perfekt. Doch wie viele Zahnärzte beherrschen wohl die Gebärdensprache?

Und weil eine Zahnärztin alleine auch nur eingeschränkt behandlungsfähig ist, ist sie durchaus auf ihre Zahnmedizinischen Fachangestellten angewiesen – was liegt in der Logik für die Hamburger Zahnärztin näher, als zwei gehörlose Mitarbeiterinnen auszubilden? Ein zweiter Schritt sozusagen, der zwar tatsächlich nahe liegt: Aber der Mehraufwand ist nicht zu unterschätzen, denn die Ausbildung ist nun mal nicht auf gehörlose Menschen ausgelegt – bisher! Zwischen Marianela von Schuler Alarcon, der Zahnärztekammer, der Inklusionsbehörde und der Berufsschule mussten Regelungen und Lösungen gesucht werden – und sie wurden gefunden! Ein dritter Schritt!

Und nochmals ein Aber: Die Gebärdensprache ist nicht auf die Zahnmedizin ausgerichtet. Für viele, für sogar sehr viele Begriffe gibt es einfach kein Adäquat in der Gebärdensprache und permanentes Buchstabieren von ewig langen Begriffen stellt keine effiziente Lösung dar. Und wer schon mal in einer Zahnarztpraxis auf einem der in der Regel fünf Behandlungsstühle gelegen hat, zwischen denen der Zahnarzt permanent hin und her rast, der weiß, dass Zeit dort nicht unbedingt die umfangreichste Ressource ist.  Marianela von Schuler Alarcon entwickelte also ein Videolexikon, in das jeder neu auftauchende Begriff nach und nach „visuell aufgenommen“ wird: ein vierter Schritt.

Dass die Zahnärztin nun auch noch einen Verein mit dem Ziel gegründet hat, gehörlosen Menschen in Deutschland eine barrierefreie medizinische Versorgung zu ermöglichen: Respekt für diesen fünften Schritt! Der Verein: InDeafMed e.V. Die Adresse: www.indeafmed.com.

Ist das alles nun innovativ?

Ja! Und wie! Und es ist ein wichtiger Fingerzeig in Richtung gelebte Inklusion. Dass das alles mit enormen Aufwand verbunden ist, ist geradezu ein notwendiges und deswegen nur zu gut bekanntes Merkmal der Innovation. Aber das Beispiel zeigt: Es lohnt sich. Und so wurde die Hamburger Zahnärztin Marianela von Schuler Alarcon jetzt auch ausgezeichnet. Und womit?

Erstens mit Recht! Und zweitens mit dem Hermann-Schmidt-Preis 2014, und zwar mit dem Sonderpreis des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie.

Respekt, Chapeau und Hut ab aus Bayern in den Norden, werte Frau Marianela von Schuler Alarcon!