Gold-Geld gilt?
„In einem Land, in dem nur noch Geld gilt, geliked und geteilt, aber nicht mehr gelesen und nachgedacht wird, sollte sich niemand über die virale Verbreitung von erheblichem Schwachsinn mit einhergehender Degeneration einer Denker-Kultur wundern.“
Die Gold-Geld-Ausgangslage
War die Olympiade in Rio wirklich die uninteressanteste Olympiade aller Zeiten, oder ist das nur mein Eindruck? Natürlich gab es aus deutscher Sicht mit Hambüchen, Neids Team, dem Duo Ludwig-Walkenhorst und einigen anderen das eine oder andere Highlight. Aber so richtig in Szene setzen konnte sich der fast vergessene Rekordschwimmer Markus Deibler. Er ist zwar nicht geschwommen und hat auch an keiner anderen Disziplin teilgenommen; Posten mal ausgenommen. Auf facebook. Sein Post hat im In- und Ausland für viel Aufsehen gesorgt. „In einem Land, in dem ein Olympiasieger 20.000 € Prämie bekommt und ein Dschungelkönig 150.000 €, sollte sich niemand über fehlende Medaillen wundern.“
Meine ehrlich bewundernde Meinung dazu: Wie kann man so viel Blödsinn so prägnant in einen einzigen Satz packen? Und damit ist das Problem ja noch lange nicht ausreichend beschrieben! Es folgt ein Denk-Sammelsurium:
Problem 1: Das Äpfel-Birnen-Dilemma
Obst ist anders. Es gibt das eine Obst und es gibt das andere Obst – und dann gibt es noch Fallobst. Obiger Satz gehört definitiv zur dritten Kategorie. Vergleicht man die gemeine Himbeere beispielsweise mit einer Pampelmuse oder gar mit einer Melone, so schneidet die Himbeere im Größenvergleich eher schlecht ab. Die Gesamtmenge ist aber die des Obstes. Muss man sich nun wundern, dass die Himbeere mit einer fehlenden Größe zurechtkommen muss, obwohl doch alles Obst ist?
Nehmen wir nun die Grundgesamtheit der in der Öffentlichkeit stehenden Personen: als Beispiel Rockbands, Nachrichtensprecher, Schauspieler, Kardashians, Bundeskanzlerinnen, Dschungelkönige, Fußballer oder Schwimm-Olympiasieger. Während eine Bundeskanzlerin im Monat mit nicht ganz 25.000 € zurande kommen muss, erhält ein Bastian Schweinsteiger das Zehnfache – dafür aber jede Woche. Und Robert Downey Jr. soll angeblich je Jahr ca. 80 Millionen „verdienen“ … Warum also nicht: 80 Millionen für einen Olympiasieger, statt des Dschungelkönigs Krümel? Und dann … dann würde es Medaillen um die Hälse unserer Olympiateilnehmer regnen … so implizit Herr Deibler.
Problem 2: Die Kür, Chancen zu nutzen
Sicherlich kennen Sie den Witz, in dem ein armer Mann sich permanent bei seinem Gott beklagt, dass er nie im Lotto gewinnen würde. Woche für Woche klagt er. Eines Tages klagt er wieder gar sehr, dass er nun wieder nicht gewonnen hätte; worauf nun seinem Gott der Kragen platzt: „Guter Mann, dann gib mir die Chance dich gewinnen zu lassen und gib endlich einen Lottoschein ab!“
In Kenntnis dieses Witzes: Möchte man da einem Markus Deibler nicht zurufen: „Gib dir die Chance auf 150.000 € und stürze dich in des RTLs Fake-Dschungel!“
Denn selbstverständlich steht allen Olympiateilnehmern frei, sich in den Dschungel zu begeben. Das eine schließt das andere doch nicht aus. Die Chance auf die genannten 150.000 € besteht – zusätzlich zu den 20.000 € Olympiageld. Das macht dann zusammen 170.000 €. Nicht schlecht, wenn man diese Chance mal nüchtern betrachtet. Lassen wir den Faktor des Neids mal außen vor. Und den Faktor der Ehre und Würde, den müssten wir auch außen vor lassen: Denn ist es ehrenvoller, anerkennenswerter, würdiger einen Olympiasieg zu erringen und damit als der Beste der Welt in einem sportlichen Wettkampf zu gelten, oder einfach nur derjenige zu sein, der einen Wurm geschnupft hat? Ist das wirklich eine ernstzunehmende Chance?
Es ist nahezu müßig darüber zu philosophieren, wie oft Chancen nicht genutzt werden, obwohl sie vor einem geradezu auf der Straße liegen. Chancen überhaupt zu sehen ist für viele schon ein Problem:
Ein Management-Exkurs – Problem 3: Das Wundern über eine Chancen-Norm
Dieser Blog soll ja nicht nur irritieren, sondern auch zum Thema Innovation beitragen. Aus diesem Grund ist in diesem kleinen Exkurs und auch weiter unten immer wieder der Bezug zu Unternehmenswelten hergestellt. Und wenn es um Chancen geht, dann gibt es derzeit in vielen Unternehmen Interessantes zu beobachten. Denn Chancen identifizieren zu können, das bereitet momentan vielen Unternehmen Kopfzerbrechen. Weil: In der bekanntesten aller Management-Normen, der ISO 9001:2015 wird seit September 2015 der Umgang mit Chancen gefordert. Also muss jedes nach dieser Qualitätsmanagement-Norm zertifizierte Unternehmen sich nachweislich mit Chancen auseinandersetzen. Und das ist das Problem: Jedes Unternehmen ist es zwar gewohnt sich mit Risiken und Gefahren zu beschäftigen – alleine schon aus Haftungsgründen; aber Chancen überhaupt erkennen, identifizieren zu können und damit systematisch umgehen zu müssen, das hat in vielen Unternehmen keinerlei Tradition. Das soll und muss jetzt anders werden…
Problem 4: Geld regiert die Motivation
80 Millionen für Olympiasieger, statt des Dschungelkönigs 150.000, dann würde es Medaillen um die Hälse unserer Olympiateilnehmer regnen … so kann man Herrn Deibler ohne tiefgründig werden zu müssen interpretieren. Dass dem nicht so ist, ist allgemein bekannt. Es geht nicht mit Geld. Es geht natürlich auch nicht ohne Geld, aber Geld ist und bleibt ein schwacher langfristiger Motivator – Geld ist nach wie vor und immer mehr in den Herzberg´schen Hygienefaktoren anzusiedeln.
Wenn wir also nun Geld als Monokausalität für sportlichen Erfolg nehmen – wie erklären sich dann sportliche Erfolge von Randsportarten? Ich bin zum Beispiel großer Fan von Speedway, welches in Deutschland nach Egon Müller eher ein Schattendasein fristet. Vor zwei Jahren aber hat ein deutscher Fahrer, Martin Smolinski, bei seiner ersten Teilnahme am Grand Prix, genau diesen Grand Prix in Neuseeland sensationell gewonnen. Das Medieninteresse daran war … extrem überschaubar gering. Smolinski hat diesen Grand Prix – aber sicher keine 150.000 € gewonnen. Woher also die Motivation? Sie ist – und das ist doch nicht neu – intrinsisch.
Das ist in Unternehmen nicht anders: Viele versuchen zum Beispiel bei der Einführung von Innovations- oder Ideenmanagementsystemen die Motivation von Mitarbeiter mit Geld voranzutreiben: Viele Ideen heißt viel Geld. Bis zu einem gewissen Grad funktioniert das sicherlich auch, aber Spitzenleistungen sind damit nicht zu erreichen. Mitarbeiter, aber auch Olympiateilnehmer, brauchen das entsprechende Bewusstsein! Sie brauchen, um es in Saint-Exuperys Worten zu sagen: Die Sehnsucht nach dem weiten, endlosen Meer! Denn Geld schießt keine Tore, ergänzte der bekannte Philosoph Otto Rehhagel. Aber mit Geld bringt man Menschen dazu, gedünstete mit Wurmgelee gefüllte Mistkäfer an Spinnenspermaschaum vor den Augen eines nicht wenig debilen Fernsehpublikums zu dinieren. Ist das erstrebenswert?
Wir bewegen uns bei Olympia doch in einem Highest-Performance-Bereich. Es geht nicht mehr darum Standard zu liefern, Stellenbeschreibungen auszufüllen oder sich innerhalb vorgegebener Grenzen zu bewegen. Es geht um die Überwindung des Bekannten, des Herkömmlichen – und hier benötigt man Enthusiasmus, den man auf dem langen Weg zur Spitze nicht verlieren darf. Der Weltrekordler Markus Deibler ist diesen Weg schon erfolgreich gegangen; insofern ist sein Statement Olympiasieg vs. Dschungelkönig nicht ganz zu verstehen – oder doch?
Problem 5: Im Land der Liker und Teiler
Markus Deiblers vielzitierter Satz ist nur ein Satz eines mehrere Sätze umfassenden Statements. Darin mokiert er sich über die allgemeine Sportförderung in Deutschland und über den Umgang mit Doping in anderen Staaten. Aber das hat kaum jemand registriert. Aber das ist viel zu viel Information! Vielmehr wurden Bildchen designed mit seinem Dschungelkönigsatz und gepostet. Und dann wurde geliked und geteilt und zustimmend kommentiert – inklusive einiger scheinbar maßgeblicher Medien. Die „Welt“ meinte zu Deiblers Satz: „Da ist was Wahres dran!“ Man hatte eine Erklärung – zu wenig Geld – für die mangelnde Medaillenausbeute bei den Schwimmern gefunden. Und die pragmatische Lösung wäre, das benannte Dschungelgeld auf das Konto der Olympiasieger zu überweisen, um es so zu berechtigtem Gold-Geld zu machen.
Einfache Erklärungen und Lösungen sind irgendwie immer putzig und sie finden immer viele Anhänger. Aber einfache Lösungen gibt es fast nie! Erklärungen und Lösungen bedürfen immer des Nach- und des Vorausdenkens. Oft auch des Probierens, des Experimentierens. Aber in einem Land, in dem nur noch geliked und geteilt, aber nicht mehr gelesen und nachgedacht wird, sollte sich niemand über die virale Verbreitung von erheblichem Schwachsinn mit einhergehender Degeneration einer Denker-Kultur wundern. Bildchen mit einleuchtenden Sprüchen zu teilen ist nicht selbst denken. Es wird nur einmal gedacht und oft auch das nicht richtig – der Rest wird dann nur noch geteilt.
Was das für Innovation, Qualität und Wissen bedeutet:
Und wiederum lässt sich auch hier der Übertrag in Unternehmen leicht nachvollziehen: Sofern Sie in einem Unternehmen nur Mitarbeiter haben, die die ihnen zugeschriebenen Aufgaben gut finden, nicken, nicht nachdenken und einfach nur genormt erfüllen, so lange Sie nur Mitarbeiter haben, die durch Löhne und Gehälter motiviert sind, so lange wird Ihr Unternehmen sich nicht Richtung High-Performance bewegen können. Abnicken, Liken und Teilen ist Gleichförmigkeit, nahe der freiwilligen Gleichschaltung. Denn wie sagte schon Karl Valentin: Wo alle dasselbe denken, wird nicht viel gedacht. Und daran ändert sich nichts, wenn alle Mitarbeiter zur Frühstückspause nickend in einer Gülletonne sitzen und gesuppte Spinnenbeine mit einer Himbeere essen … aber niemand mehr darüber nachdenkt, warum sie das tun.