Wenn Ärzte von Piloten lernen – eine Story über Qualität

Jedoch Autoritäten auf Fehler hinzuweisen ist auch heutzutage noch in vielen Organisationen kaum möglich! Es hat den Geschmack von Majestätsbeleidigung. Also werden erkannte fehlerhafte Ereignisse noch immer lieber für sich behalten. So geht Qualität sicher nicht.

 

Sterben ist normal, Nichtsterben nicht

In den USA, so berichtet der Journalist Joseph T. Hallinan, habe es bis in die 80er Jahre hinein ein entsetzlich hohes Sterberisiko in den Operationssälen der Krankenhäuser gegeben. Der Grund dafür waren vor allem Narkoseunfälle. Die Probleme konnten allesamt gleichmäßig verteilt werden auf dem in Kreisen der Qualität allseits bekannten Ishikawa-Diagramm: Mensch, Maschine, Methode oder Material. Und dabei waren angeblich die Probleme schon grundsätzlich bekannt. Aber etwas salopp gesagt, wurde einfach weiter vor sich hingestorben. Denn wo gearbeitet wird, da fallen nun mal Späne und Fehler können dann einfach passieren. Qualität hin, Qualität her. (Hier geht es zu einem weiteren Artikel zum Thema „Qualität“: Qualität, Qualität und Qualitätsmanagement – eine Aufforderung)

Wobei es sich an dieser Stelle anbietet, ja, sogar aufdrängt, darauf hinzuweisen, dass das Klischee bedient werden muss, dass Ärzte an sich keine Fehler machen. Wie dem auch sei: Zusätzlich sollte dabei auch nicht ungeachtet bleiben, dass Sterben irgendwie auch normal ist. Nichtsterben wäre eher die Ausnahme – im Gesamten gesehen.

Zu viel gestorben: Wenn der Versicherungsmann zweimal klingelt

Erst als einige Versicherungskonzerne, die die Schadenersatzansprüche zwar nicht der Toten, aber deren Angehörigen zu bewältigen hatten, damit begannen zu reagieren, fing ein Umdenkprozess an. Die Qualität, ausgedrückt in niedrigen Sterbequoten, rückte in den Fokus, während die Versicherungsprämien für die Krankenhäuser anstiegen bis explodierten. Nun wurde endlich damit begonnen zu überlegen, wie man denn zukünftig die für die Öffentlichkeit wenig attraktive Sterbequote senken könnte. Tote sind einfach grundsätzlich kein gutes Argument. Zumindest nicht auf normalen Märkten.

Die Ärzte gingen auf die Suche nach Lösungen. Und sie blieben vorrangig nicht unter sich, sondern sie schauten sich über ihre Krankenhausmauern hinweg um. Sie schauten sich vor allem um bei einer Berufsgruppe, die ebenso wie sie selbst nur sehr wenige Fehler machen darf: den Flugzeug-Piloten.

 

Fatale Fehler – wenn mangelnde Qualität tödlich ist

Von Piloten, deren Abstürze ebenso imageramponierend sind wie die Toten von oben, übernahmen die Ärzte dann so nach und nach das dort etablierte „Checklisten-Denken“. Eigentlich eine Selbstverständlichkeit möchte man heute meinen. Heute besteht Qualität sehr oft und manchmal auch ausschließlich nur aus Checklisten – was sicher keine sehr gute Idee ist. Aber zurück zu den dortigen Checklisten: Nur was wirklich geprüft wurde, wird abgehakt.

Ein Vergessen oder Ausblenden kann damit grundsätzlich ausgeschlossen werden. Plötzlich greift ein System, welches an Einfachheit kaum mehr zu überbieten ist – dem die Ärzte sich aber erst einmal unterordnen mussten. Aber so funktionieren Systeme in Bezug auf Qualität oder Arbeitssicherheit oder oder … Und es ging weiter.

Die Ärzte forderten dann weiter die Krankenschwestern und Pfleger auf, auf Probleme, Fehler, Gefahren hinzuweisen. Fehler allerorten zu finden, zu kommunizieren und zu beheben: So geht Qualität. Auch das klingt einfach, und das ist es auch! Jedoch Autoritäten auf Fehler hinzuweisen ist auch heutzutage noch in vielen Organisationen kaum möglich! Es hat den Geschmack von Majestätsbeleidigung. Also werden erkannte fehlerhafte Ereignisse noch immer lieber für sich behalten. Und: Zusätzlich könnte es auch noch passieren, dass dem Überbringer der schlechten Nachricht Konsequenzen drohen. Wir kennen das aus der griechischen Geschichte, oder aber auch aus Arbeitszeugnissen: „der kritische Mitarbeiter“.

 

Qualität von unten nach oben?

Ebenso verhält es sich mit Ideen. Kann es wirklich sein, dass ein Mitarbeiter eine bessere Idee oder überhaupt irgendeine Idee hat, die die Führungskraft nicht hat oder zumindest nicht schon mal hatte? Da kann es nur die logisch-konsequente Entscheidung sein, diese Idee als überflüssig zu betrachten, zu ignorieren und wenn es schon überhaupt ein Feedback sein muss: abzulehnen. Vorerst. Möglicherweise kann die Führungskraft diese Idee ein paar Monate später wieder hervorkramen und dann selbst einbringen. Natürlich ist diese Idee dann gut!

In meinen Vorträgen weise ich immer wieder darauf hin, dass es ungefähr an der Zahl 2000 (!!) Ideen bedarf, um zu zehn (!!) richtig guten, auf dem Markt etablierten Innovationen zu kommen. Welche Führungskraft hat aber 2000 Ideen? Oder 2000 Vorschläge zum Optimieren, Fehlervermeiden? Autorität hin, Autorität her! Qualität, aber auch Innovation ist immer eine Angelegenheit von allen! Keine Sache einzelner.

In den OP-Sälen der USA hat sich nach den angesprochenen Änderungen in nur wenigen Jahren die Sterberate durch Narkoseunfälle verringert; um den Faktor 40! Von 1:5000 auf bis zu 1:300.000! Das ist eigentlich unglaublich.

Es gibt viele Gründe, Autorität hintenanzustellen. Dafür allemal!

 

Markus Reimer live erleben zum Thema Qualität? Hier finden Sie einen Vortragsausschnitt zum Thema „ISO 9001:2015“