Das unterbewertete Dach – Wie wir mit Wissen umgehen

„Es gibt Wissen massenweise auf den verschiedensten Datenträgern unter einem Dach. Der Kopf des Mitarbeiters ist dabei ein ganz besonderer Datenträger. Und problematisch wird es dann, wenn er geht. Es ist aber manchmal auch problematisch, wenn er bleibt.“

 

Wissen und Wissen – eine wissentliche Unterscheidung

Menschen wissen was. Alle Menschen wissen immer was. Der oscarüberschüttete Film Slumdog Millionaire hat dieses Thema wunderbar aufgegriffen. Doch was passiert eigentlich mit dem Wissen in den Köpfen der Menschen unter dem Dach eines Unternehmens?

Wissen lässt sich klassischer Weise aufteilen in das sogenannte Explizite und das Implizite Wissen. Dabei verstehen wir unter dem expliziten Wissen jenes, welches niedergeschrieben ist oder zumindest werden könnte. Das sogenannte Implizite Wissen ist damit jenes Wissen, welches in den Köpfen der Menschen als Erfahrung abgespeichert ist. Es kann aber nicht so einfach niedergeschrieben werden. Soweit in einfacher Form zu dieser Unterscheidung. Diese Unterscheidung ist deshalb so wichtig, weil der Umgang mit diesen beiden Wissensformen sehr unterschiedlich ist oder sein sollte. Und weil Unternehmen davon profitieren … können … könnten.

 

Wissen und keine Innovation – Teil 1: Sozialisation

Wie kommt Neues, wie kommt Innovatives in eine Organisation? Wie kommt neues Wissen in eine Organisation? Das gelingt zum Beispiel über einen neuen Mitarbeiter oder durch eine Mitarbeiterin, die etwas Neues gelernt oder erlebt hat. Dies sind einfach zwei Beispiele, derer es noch viele weitere gäbe. Was passiert nun in Unternehmen, wenn ein neuer Mitarbeiter seine Stelle antritt? Ist es von Interesse, welches Wissen der neue Mitarbeiter unter das Dach des Unternehmens bringt?

Die Antwort darauf lautet: Ja! Und sie lautet zugleich: Nein! Das Ja bezieht sich auf das Wissen des neuen Mitarbeiters, welches sich ins Haus des Unternehmens – möglichst fugenlos! – einfügen lässt. Das Wissen des neuen Mitarbeiters, welches nicht nahtlos passt oder gar ein völlig anderes Gebiet betrifft, wird nicht nur oft, sondern meistens völlig außer Acht gelassen: Weil man im Unternehmen erst gar nicht weiß, wohin man es sortieren könnte. Es ist wie im eigenen Haushalt, in den ein völlig unpassendes und damit überflüssiges Geschenk durch ferne Verwandte eindringt. Wohin damit? Auf den Garagenspeicher und bei der nächsten Entrümpelung entsorgen. Weg ist es. Vergessen. Es kann aber auch ganz anders laufen: Das entscheidende Hemd.

Der neue Mitarbeiter wird durch präzise abzuarbeitende Einarbeitungspläne in die Gegebenheiten des Unternehmens integriert – in der Borg-Sprache von Star Trek könnte man das auch assimiliert bezeichnen. Aus der Sozial- und Geisteswissenschaft stammt der Begriff der Sozialisation: Ein Mensch nimmt die (Verhaltens-)Muster seiner Umgebung an – inklusive des dort vorherrschenden Wissens. Der neue Mitarbeiter wird unter sein neues Dach eingepasst und wird Teil des Ganzen, ohne dieses großartig zu verändern. Somit wird Neues relativ sicher ausgeschlossen. Möglichen Innovationen wird erfolgreich ein Riegel vorgeschoben. Das Implizite Wissen des Unternehmens wird zum Impliziten Wissen des Mitarbeiters. Er wird Teil des Systems und trägt dazu bei, dass dieses System auch so bleibt. Gänzlich sicher vor Innovationen.

 

Wissen und keine Innovation – Teil 2: Internalisierung

Natürlich gibt es in Unternehmen auch explizites Wissen – im Intranet, auf share-points, in Akten. Und selbstverständlich ist auch ein gut funktionierendes Qualitätsmanagementsystem ein ausgezeichneter Träger für Wissen. Nebenbei bemerkt, fordert die mittlerweile ja gar nicht mehr so neue ISO 9001:2015 einen beherrschten Umgang mit dem Wissen einer Organisation. Und man beachte: Es geht um das Wissen der Organisation und nicht um das Wissen der Menschen in der Organisation. Also: Das Wissen der Mitarbeitenden eines Unternehmens muss Wissen des Unternehmens bleiben, also entkopft werden. Das Wissen der Organisation bleibt, auch wenn die Mitarbeitenden mit ihren Köpfen das Dach des Unternehmens verlassen.

Natürlich bringt das auch mit sich, dass exklusives Wissen der Organisation in die Köpfe der Mitarbeitenden dringt, dort sich verankert, also internalisiert wird, und dass dieses Wissen dann die Unternehmen „mitverlässt“, wenn die Mitarbeitenden das Unternehmen verlassen. Das bringt Führungskräfte oft zum Schwitzen: Denn dieses organisationsspezifische Wissen könnte nun gegen das eigene Unternehmen – zum Beispiel durch den Wettbewerber – verwendet werden. Das könnte natürlich sein: Aber dazu lohnt sich wieder ein Blick auf das vorangegangene Kapitel über „Sozialisation“. Die Gefahr dürfte überschaubar sein. Also ist auch hier den innovativen Tendenzen ausreichend Einhalt geboten. Systeme verteidigen sich selbst.

Dass diese Systeme von Menschen bedient werden, macht die Sache nicht besser – eher schwieriger. Denn Menschen an bestimmten Schaltstellen wissen ihr System oft so gut und erfolgreich zu verteidigen, dass sie das gesamte Unternehmen zu Fall bringen. Darum ist es notwendig, gerade diese Schaltstellen – meist im mittleren Management verankert – auf Offenheit für Neues, auf Innovationsfähigkeit und auf Mut abzuklopfen. Ausschließliche Internalisierung bringt keine Experimente, keine Ideen, keine Innovationen. Ganz im Sinne der deutschen Redewendung: Das eigene Dach behütet vor Ungemach… Neues, Innovatives, Infragestellendes kann natürlich mit Ungemach gleichgesetzt werden. Und das dann mit allen Konsequenzen.

 

Wissen und Innovation – Teil 3: Kombination unter einem Dach

Wie kommt nun Neues unters Unternehmensdach?

Plakativ gesagt: Durch Kombination! Explizites Wissen des neuen Mitarbeiters wird zusammengebracht, also kombiniert mit explizitem Wissen der Organisation. Es wird nach Matching-Points gesucht. Wo finden sich Anknüpfungspunkte? Wo wird das eigene System unter Umständen komplett in Frage gestellt?

Das setzt voraus, dass die Organisation ein durchaus großes Interesse an dem Wissen der Mitarbeitenden – implizit und explizit – hat. Sehr oft wissen Unternehmen gar nicht, welches Wissen sie bereits im Unternehmen haben. Es sind keine geeigneten Plattformen dafür geschaffen, um an dieses Wissen zu gelangen. Mitarbeitende wissen wiederum nicht, dass ihr Wissen unter dem eigenen Dach vielleicht von Interesse sein könnte. Und das ist ein nicht unbekanntes Phänomen: Mitarbeiter sind Affen.  Innovationen setzen genau dieses Miteinander voraus. Kombinationen sind eine unerschöpfliche Quelle für Ideen und Innovationen.

Bleiben wir beim neuen Mitarbeiter: Das Mindeste ist, in den Einarbeitungsplan einen Punkt zu dessen Wissen aufzunehmen. Damit wäre zumindest schon einmal die „Überschrift“ unter dem eigenen Dach. Weiterhin sollte der neue Mitarbeiter mit kritischem Blick sich durch das Unternehmen arbeiten. Der neue Erfahrungshintergrund kann nur gut sein: Selbst wenn er nur zur Bestätigung des alten Systems beiträgt.

Kombiniertes Wissen unter dem Dach einer Organisation ist kaum zu überschätzen. Es braucht viele Menschen mit ihren Ideen, um Neues und Innovatives voranzubringen. Denn wie sagt ein altes afrikanisches Sprichwort: Einer allein kann kein Dach tragen.

Und wenn schon die ganze Zeit von Dächern gesprochen wird: Wissen Sie eigentlich, wie vielfältig man Dächer kombinieren kann? Wussten Sie, dass Fiat Lingotto auf sein Fabrikdach eine Rennstrecke gebaut hat? Und natürlich wissen Sie, dass Facebook auf dem Dach seiner Zentrale einen ganzen Park angelegt hat. Und dass auf dem Dach des Augsburger Klinikums ein Rettungshubschrauber stationiert ist. Oder in so manchen Villen Swimmingpools. Also: Selbst ein schützendes Dach ist nicht sicher vor Kombinationen. Legen Sie los! Was können Sie kombinieren?