Böse Kunden = Gute Impulse

Wenn Kunden ihre gekauften Produkte benutzen, dann darf man eigentlich davon ausgehen, dass sie sie so verwenden, wie das vorgesehen ist. Gar nicht gerne erinnere ich mich in diesem Zusammenhang an meinen kleinen Sohn, der seine am Vormittag gekaufte Sonnenbrille am Nachmittag als Kiesbagger „benutzt“ hat; mit den erwartbaren Folgen für den ursprünglichen Nutzen der Brille. Das war sicher innovativ, aber eben auch böse…

Doch dieses Verhalten ist kein kinderbedingtes; auch Erwachsene neigen recht häufig dazu, dass sie Dinge zweckentfremden. Und wenn diese dann kaputt gehen, dann werden sie reklamiert – ohne dass die Kunden den Grund im eigenen Verhalten erkennen wollen. So agieren „böse Kunden“.

Der Werkzeughersteller Wera hatte genau dieses Problem mit seinen Knarren/Ratschen, die nun mal einfach zum  Schrauben vorgesehen sind. Aber Handwerker nutzten sie eben nicht nur zum Schrauben, sondern, wahrscheinlich ob ihrer Form, auch gerne mal als Hammer zum Schlagen. Und dadurch kam es als Erstes zur Beschädigung, wenn nicht gar zur Zerstörung der Knarrenmechanik, und als Zweites zur Reklamation. Immer und immer wieder. Die Reklamationsgründe waren niemals auf einen sachgemäßen Umgang mit der Knarre zurückzuführen. Aber sehr wohl erkannte Wera nach eingehenden Analysen die Zweckentfremdung der Knarre durch den „bösen Kunden“.  Was also tun? Ein Schild anbringen, auf dem geschrieben steht: „Nicht als Hammer verwenden!“?

Wera machte das Gegenteil und nutzte die Hammer-Erkenntnis: Die Zweckentfremdung der „Schrauben-Knarre“ als „Hammer-Knarre“ wurde nicht mehr als Problem, sondern als Impuls gesehen. War es nicht machbar, diese beiden Möglichkeiten miteinander zu verknüpfen? Wera erkannte, sah und siegte.

Seit einiger Zeit gibt es nun die Wera-Knarre „Koloss“, mit der man – wie schon immer – schrauben kann, aber mit der man eben auch hämmern kann. Das ist Innovation! Und Koloss ist ein Verkaufsrenner … entstanden durch „böse Kunden“. Dazu der passende Werbeslogan: „Diese Knarre ist der Hammer!“ Ein schönes Beispiel dafür, dass es sich immer lohnt, Reklamationen und Beschwerden von Kunden genauer anzusehen. Innovationen sind so oft ganz nah!

Es scheint aber auch Grenzen zu geben.  Was die Kombination „Sonnenbrille“ und „Bagger“ betrifft: Innovation hin, Innovation her, ich bin noch keinen Schritt weitergekommen.