Wir müssen reden!

Eine identitätsstiftende Sprache anhand von gemeinsamen Erfahrungen, das funktioniert nicht nur in Familien, sondern in ganzen Gesellschaften: „Palim, palim!“ „Früher war mehr Lametta“,  „Wie Flasche leer“ … alle kennen das! 

 

Eine geheime Sprache?

Brokkoli ist des Kindes Lieblingsgemüse nicht so direkt. Dies bringen selbst kleine Kinder – sehr kleine Kinder – die des Redens noch gar nicht so mächtig sind, sehr wohl auch zum Ausdruck. In einer mir sehr bekannten Familie meinte der kleine Sohn in sehr jungen Jahren: „Boloki ham Bumbins!“. Übersetzt hieß dies: „Brokkoli zu essen ist Mumpitz“. „Boloki ham Bumbins“ wurde in der Familie ein geflügeltes Wort. Es kam ab sofort bei allen möglichen Situationen, die nicht gefielen, augenzwinkernd zum Einsatz; selbst der Sohn musste später über seine Stilblüte lachen und rezitierte sich selbst beim Reden … aber eben nur in der eigenen Familie. „Boloki ham Bumbins“ war ureigenstes Familienwissen, eine Art Familien-Sprache. Und wie Sie, geneigter Leser, wissen, hat jede Familie mehr oder minder ausgeprägte Spracheigenheiten. Diese werden zum einen in Ihrer Familie vermehrt verwendet; und zum anderen werden diese zum Teil auch ausschließlich nur in Ihrer Familie verwendet, weil sie auch nur dort verstanden werden.

Was genau hat nun aber diese doch recht banale Erkenntnis in einem Blog über Innovation, Wissen und Qualität in Unternehmen zu suchen?

 

Identität durch Sprache

„Boloki ham Bumbins“ wird nur in dieser einen Familie verwendet – und so handelt es sich bei dieser Redewendung um ein eindeutiges sprachliches Identitätsmerkmal dieser Familie. Sie unterscheidet sich durch diese Aussage von anderen Familien, in denen es diese Aussage nicht gibt. Und geht es nach dem Berliner Soziologen Lothar Krappmann, dann wird Identität vor allem auch über Sprache geschaffen.

Ist das nun nur in Familien, oder eben auch in Unternehmen oder anderen Organisationen nachzuvollziehen? Natürlich gibt es viele Theorien und Modelle über und zu Gruppen- und Teamkonstellationen. Das soll hier ausgespart werden; dazu gibt es schon so viel gute wie auch völlig überflüssige, weil sich ständig wiederholende Literatur.

Warum lohnt es sich aber, über Identität in Unternehmen oder über Unternehmensidentitäten, oder aber über die Sprache, über das Reden in Unternehmen nachzudenken? Unternehmen haben nachweislich eigene und festgelegte Sprachen: Zum Beispiel wird man bei IKEA, zumindest in der Werbung, permanent mit Du angesprochen. Doch ist das auch die oben angesprochene Sprache: Ist das „Du“ der „Boloki“ von IKEA? Nein, ist es natürlich nicht. Es geht hier um den sich in einem Unternehmen selbstständig entwickelten Sprachschatz; dieser Sprachschatz generiert sich aus Anekdoten, aus Erfahrungen, aus Erinnerungen. Es geht hier um sprachliche Eigenheiten, die man sich aneignet, um die Art zu Reden, weil man dazugehört oder um dazuzugehören; weil man das auch will. Weil man sie in die richtigen Zusammenhänge bringen und sich dadurch nach außen abgrenzen kann. Und das ist Identität: Die Unterscheidbarkeit nach außen. Es sind kulturelle Identitätsstifter.

 

Sprache als spezielles kulturelles Allgemeingut

Das funktioniert sogar für ganze Gesellschaften: „Palim, palim!“ „Früher war mehr Lametta.“ „Wie Flasche leer.“ Oder – jetzt gerade aus leider traurigem Anlass zum Tod von Hans Dietrich Genscher: „Wir sind zu Ihnen gekommen, um Ihnen mitzuteilen, dass Ihre Ausreise …“ – das wars. Wie oft wurden diese Zitate von Ihnen schon verwendet? Es ist kulturelles Allgemeingut und damit eben identitätsstiftend.

Wenn wir nun von Innovations- oder von Qualitäts- oder von Wissensmanagement in Unternehmen sprechen, dann landen wir stets sehr schnell bei der Unternehmenskultur. Diese kann nicht eingeführt und erlernt werden – diese entwickelt sich unter den gegebenen Voraussetzungen. Die Sprache ist ein wesentliches identitätsstiftendes Merkmal für eine spürbare Unternehmenskultur. Und somit ist in Organisationen oder Unternehmen der Umgang mit Innovation, Qualität und Wissen vor allem auch eine Sache von … „Boloki“ und„Bumbins“!

(Ein weiteres, sehr schönes Beispiel zu diesem Thema ist der Heidenheimer Kiosk.)